Anton Bruckner

Symphonie Nr. 3 d-Moll

Philharmonie Festiva, Ltg. Gerd Schaller

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Hänssler/BR Klassik
erschienen in: das Orchester 6/2025 , Seite 73

Jeder, der sich bislang auf Anton Bruckners 3. Symphonie d-Moll WAB 103 eingehört hat, trägt die dritte und letzte Fassung aus dem Jahre 1889 im Ohr. Es hat lange gedauert, bis Dirigenten wie Orchester sich allgemein für die verschiedenen Fassungen – von denen es bekanntlich einige gibt – interessierten und diese auch aufführten.
Gerd Schaller gehört zu jenen wenigen, die sämtliche Fassungen und Umarbeitungen im Blick haben und einspielen. Bereits 2016 hatte er – ebenfalls mit dem Label Hänssler – die Neunte mit dem von ihm komplettierten Finalsatz der musikalischen Öffentlichkeit vorgestellt. Und nun präsentierte er im Bruckner-Jahr 2024 die zweite Fassung der Dritten von 1877 – auch als „Wagner-Symphonie“ bekannt.
Interessant wäre eine CD-Ausgabe gewesen, in der alle drei gedruckten Fassungen nacheinander als Hörerlebnis zusammengefasst sind. Das Gewohnte der dritten Fassung weicht bald der hörbaren Veränderung: Allein die Tempi der ersten beiden Sätze der 2. Fassung erscheinen etwas lebhafter zu dem „Mehr langsam“ bzw. „Adagio“ der dritten Fassung. Jedoch fallen die Unterschiede nicht ganz so gravierend aus wie bei der Urfassung von 1872/73, in der insbesondere der Kopfsatz schon ausgedehnte 746 Takte aufweist. Die komplette Symphonie zählt über 2050 Takte und diese gilt somit als die längste überhaupt. Allein der Kopfsatz der zweiten Fassung ist zur ersten um fast 100 Takte kürzer, der Finalsatz der dritten zählt gegenüber der zweitenFassung über 140 Takte weniger, da Bruckner den Durchführungsteil komplett änderte; außerdem ließ er hier die Reprise weg. Genauer nachzulesen sind diese Angaben im überaus informativen Booklet aus der Feder des Dirigenten. Der Hauptunterschied ist aber, dass die zweite Fassung – und selbstverständlich noch mehr die erste Fassung – ursprünglicher ist, vielleicht auch etwas wilder und weniger glatt in der Charakteristik. Sie scheint viel mehr in die Zeit zwischen der 2. und 4. Symphonie zu passen, wodurch sich Bruckners Entwicklung als Symphoniker chronologisch ablesen lässt. Die zweite Fassung ist immerhin etwa mit der Fertigstellung seiner 5. Symphonie entstanden, seinem bis dahin gewaltigsten Werk. Und mit der dritten Fassung war Bruckner in seiner Entwicklung noch weiter gediehen, entstand sie doch erst – wie erwähnt – 1889, als er bereits mit seiner Achten beschäftigt war. Deswegen mag diese „geläuterte“ Fassung nicht so recht in das Bild des jüngeren Bruckners passen.
Vorliegende Aufnahme ist nicht nur ein überaus spannendes Tondokument, das uns Rezipienten über Jahrzehnte mehr oder weniger vorenthalten wurde. Gerd Schallers Bemühen um das umfassende Werk des großen österreichischen Symphonikers ist hoch zu loben. Die Aufnahmen anderer Fassungen ergeben zusammen nun endlich ein Bild des Unverstandenen und Getriebenen.
Werner Bodendorff

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