Méhul, Étienne-Nicolas
Symphonie Nr. 3, 4 und 5 (“Unvollendete”)
Kapella 19, Ltg. Eric Juteau
Sie begreifen sich als Musikarchäologen: die Mitglieder der Kapella 19 aus Nürnberg, erst vor wenigen Jahren von Eric Juteau gegründet. Der studierte Jurist und Dirigent aus dem französischen Nachbarland lebt seit gut zehn Jahren in Deutschland, dessen Kultur (gerade auch im Musikwesen) er besonders schätzt. Mit Kapella 19 erfüllte er sich einen Wunsch nach einem eigenen Klangkörper, mit dem er in Vergessenheit geratene Komponisten und Kompositionen im Konzert und mit einer CD neu benennt und auf deren Möglichkeiten aufmerksam macht.
Das gilt auch für Étienne-Nicolas Méhul (1763-1817). Er füllt (sinfonisch gesehen) die Lücke zwischen den Wirren der Französischen Revolution und dem Ende der Restauration (um 1830). Méhul stammt aus Givet im Maas-Land, widmete sich zunächst dem Orgelspiel, eher er nach Paris ging. Er schrieb Sonaten, Chorwerke und schließlich ab 1785 auch Opern. Erstaunlich, dass der in Frankreich geschätzte Musiker rund 30 durchaus erfolgreiche Bühnenwerke schrieb in Deutschland jedoch in der Folgezeit eine Randfigur blieb, und zwar bis heute. Man hört schon einmal eine Arie aus seinen Opern, auch kammermusikalische Zitate tauchen im Konzertsaal auf. Aber insgesamt betritt man mit seiner Musik ein europäisches Niemandsland.
Das soll sich nun ändern. Denn die drei hier präsentierten Symphonien, entstanden zwischen 1797 und 1810, sind mehr als gute Unterhaltung. Wobei die 5. Symphonie nach einem ersten Satz (Andante Allegro) abbricht: Sie blieb deshalb eine Unvollendete.
Drei Mal Méhul eine Offenbarung? Nun, eine Sensation sind die drei Orchesterwerke nicht. Mal klingen sie nach Haydn, mal nach Mozart, dann wieder nach dem frühen Berlioz. Das bedeutet, dass sie dennoch durchaus einen liebenswerten Stil und eine eigene Farbigkeit besitzen. Aber es fehlt das überraschende Element, der vorauseilende Impuls, die spektakuläre Melodie. Der Komponist besitzt jedoch Einfallsmut, strukturelle Souveränität und orchestrale Stimmigkeit. Das Orchester lebt in seinen symphonischen Stücken, die das seinerzeit übliche Registerspektrum in den Sätzen auslotet. Die 4. Symphonie fällt etwas aus dem Traditionsrahmen, weil sie fünfsätzig angelegt ist und mit drei Allegro-Kapiteln überrascht.
Juteau und die Kapella 19 widmen sich mit großer Hingabe der (Wieder-)Entdeckung des französischen Klassikers. Das Leichte, Irisierende, Schwebende und das melodische Moment überwiegt in ihren Interpretationen, die klangliche, instrumentale Raffinesse tritt dagegen in den Hintergrund. Man hört sich diese Symphonien gern und eigentlich unkompliziert an immer jedoch mit Haydn oder Mozart im individuellen Hörvergleich.
Es stimmt sicherlich die Aussage von Berlioz, der über Méhuls Partituren schrieb: Er war überzeugt davon, dass der musikalische Ausdruck einer lieblichen Blume gleicht, delikat und selten, mit erlesenem Duft, welche ohne Kultur nicht blüht. Das ist doch bestimmt ein großes Kompliment seines Landsmannes. Juteau füllt es aus heutigem Blickwinkel mit
einer instrumentalen Präsenz.
Jörg Loskill


