Szymanowski, Karol

Symphonie Nr. 3

"Das Lied von der Nacht" für Tenor, gemischten Chor ad lib. und Orchester, Studienpartitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Universal Edition, Wien 2013
erschienen in: das Orchester 07-08/2013 , Seite 70

Die Meinung über die im November 2012 in Ungarn gedruckte Partitur der 3. Symphonie Das Lied von der Nacht von Karol Szymanowski war einhellig. Ich habe die Partitur der in der Wiener Universal Edition erschienenen, seit 1925 mehrfach aufgelegten und 1973 revidierten Fassung dieses Werks einigen Musikerkollegen gezeigt: wortloses Achselzucken und verständnisloses Kopfschütteln war die Folge. Wie kann heute ein Verlag eine Partitur mit einem Satzspiegel kleiner als DIN-A4-Format neu auflegen, die eine bombastische, vollständige drei- bis sechsfache Bläser­besetzung bis zu einer Basstuba, eine Armada von Pauken, Trommeln und weiteren Lärminstrumenten aufweist? Nicht zu vergessen die Streicher, welche zum Teil vierfach geteilt sind, zwei Harfen und Tasteninstrumente wie Celesta, Orgel und Klavier, dazu die Tenorstimme und nicht zuletzt einen vierstimmigen Chor, der je nach dem aus einem dreisprachigen, kaum zu entziffernden Text zu wählen hat. Muss der Verlag Papier sparen?
Die Partitur ist weder als Studienpartitur zu gebrauchen noch ist überhaupt daran zu denken, sie als Dirigiervorlage zu verwenden, weder mit noch ohne Brille. Eine mikroskoptaugliche Lupe in XXXL-Format würde außerdem das Dirigieren behindern, es sei denn, der Dirigent benützt sie als Taktstock… Dass der Benutzer die 86-seitige Partitur am Kopierer vergrößern könnte, wäre durchaus eine Alternative, wenn auch mit Schwierigkeiten rechtlicher Art verbunden.
Außer dem dreisprachig abgedruckten Nachtgedicht aus der Feder von Jalal ad-Din Muhammad Rumi gibt es in dieser Neuerscheinung kein für moderne Ansprüche unerlässliches Vorwort, keinen Kritischen Bericht, keinerlei Anmerkungen der ungenannten Herausgeber. Doch! Klein, links unten: Außer dem Hinweis der Spieldauer von 26 Minuten lediglich die Anweisung, welche 18 Takte übersprungen werden könnten. Dies hätte aber zur Folge, dass der Tenor „erst bei Studienziffer 72“ einsetzen dürfte und deshalb „die Takte zwischen Stuiderziffer (!) 2 und 4 auslässt“. Es folgt der lapidare Verbotshinweis: „Eine Aufführung ohne Tenorsolo ist unzulässig.“ Sonst steht nichts Erhellendes über diese in den Jahren 1914 bis 1916 komponierte Symphonie. Schade.
Jaja, das alte Lied: Es kostet viel Geld, einen fachkundigen Musikwissenschaftler mit Polnischkenntnissen zu engagieren, der ein Vorwort und einen Kritischen Bericht (den womöglich eh niemand liest!) schreibt, und diese ferner in zwei, drei Sprachen zu übersetzen. Außerdem: Ein jeder kann heute im Internet nachschauen, in Bibliotheken recherchieren, so das Gegenargument, wie und warum das Werk entstand. Es würde sich ja auch lohnen. Karol Szymanowski ist durchaus ein bemerkenswerter Tonkünstler, der hier noch entdeckt werden will. Dennoch: Braucht der interessierte Musikhörer wirklich eine „neue“, kaum lesbare Partitur, die den Stand von vor 40 Jahren widerspiegelt, auch mit Blick auf den relativ hohen Preis? – Ich fürchte, Szymanowski als Mensch und Komponist wird so weiterhin unentdeckt bleiben.
Werner Bodendorff

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