Ludwig van Beethoven/ Brett Dean

Symphonie Nr. 2/ Testament

Bayerisches Staatsorchester, Ltg. Vladimir Jurowski

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Bayerische Staatsoper Recordings
erschienen in: das Orchester 5/2023 , Seite 68

Seit einiger Zeit schießen neue CD-Labels aus dem Boden – und zwar hauseigene Labels, gegründet von Orchestern und Opernhäusern, um die jeweiligen Produkte, Liveeinspielungen zumeist, ohne Einmischung Dritter unters Volk bringen zu können. Die Berliner Philharmoniker haben schon lange ihr eigenes Label, der Bayerische Rundfunk ebenfalls. Auch die Bayerische Staatsoper bringt seit 2021 ausgewählte Schätze aus ihrem Haus auf den Markt. Schon mit Mahlers 7. Sinfonie, dirigiert von Kirill Petrenko, dem ehemaligen Musikalischen Leiter der Staatsoper, landete das Label auf dem Orchestersektor einen großen Coup. Nun folgt ein besonderes Programm unter Leitung von Petrenkos Nachfolger Vladimir Jurowski – ein Programm, das um Beethoven und sein Heiligenstädter Testament kreist.
Die Zusammenstellung, der man höchstens vorwerfen kann, dass sie mit 46 Minuten arg kurz geraten ist, ergibt Sinn: Beethovens 2. Sinfonie, die kurz vor dem Heiligenstädter Testament entstand, ist Brett Deans Komposition Testament gegenübergestellt, die sich, der Titel verrät es, auf ebendieses Testament bezieht. Abgesehen davon, dass es sich um eine hochinteressante Kombination handelt, bleiben auch auf rein musikalischer Seite keine Wünsche offen. Jurowski leitet eine sehr energische, temporeiche und auch gelegentlich dramatisch zugespitzte Interpretation der Zweiten. Er bezeichnet sich selbst im Beiheft als großen Anhänger der Historischen Aufführungspraxis – was sich nicht zuletzt darin äußert, dass die Musiker:innen bei dem Konzert im Stehen gespielt haben. Die oft mit dieser Aufführungspraxis verbundenen Manierismen – extrem laut knallende Pauken, anämischer Streicherklang – finden sich hier allerdings gottlob nicht. Besonders die letzten beiden Sätze entfesseln einen regelrechten Sog. Das Trio im Scherzo nimmt Jurowski übrigens deutlich langsamer als die Eckteile – so wie dies auch Nikolaus Harnoncourt in seinen Beethoven-Interpretationen gemacht hat.
Brett Deans Testament entstand zuerst 2002 für zwölf Bratschen – die Bratschengruppe der Berliner Philharmoniker, deren Mitglied der Komponist jahrelang war. 2008 arbeitete Dean das Stück für ein klassisches Orchester in „Beethoven-Besetzung“ um, und in dieser Fassung erklingt Testament auf der vorliegenden CD. Es ist Deans Ziel, Beethovens Schwerhörigkeit, die ihn zur Abfassung des Heiligenstädter Testaments bewog, in der Musik zu thematisieren. Dies geschieht mit Mitteln, die durchaus programmatisch zu nennen sind, ohne dass sie jemals platt wirken: zu Beginn das Geräusch der Feder, die über das Papier kritzelt, später einige Fragmente aus dem ersten Rasumowskij-Quartett, wahrgenommen wie hinter einem Schleier, und schließlich, nach dramatischen Steigerungen, der bestätigende Schluss. Beethoven ließ sich eben nicht unterkriegen! Ein umfangreiches Beiheft rundet die vorbildliche Publikation ab.

Thomas Schulz