Gustav Mahler
Symphonie Nr. 2 „Auferstehungssymphonie“
Anja Harteros (Sopran), Bernarda Fink (Alt), Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Mariss Jansons
Der gebürtige Lette Mariss Jansons, inzwischen 75 Jahre alt, gehört nicht nur zu den großen Dirigenten unserer Zeit. Er ist auch einer der führenden Mahler-Interpreten und hat bereits vor seiner Zeit als Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks (seit 2003) mit dem Concertgebouw Orchester Amsterdam und dem Oslo Philharmonic Orchestra zahlreiche Symphonien Mahlers eingespielt. Jansons ist ein wahrer Europäer, der nicht nur die westlichen Metropolen kennt, sondern auch Erfahrungen aus seiner baltischen Heimat, aus Russland und der Sowjetunion einbringt. In Wien erkundete er bei Hans Swarowsky und Herbert von Karajan das „österreichische“ Repertoire aus nächster Nähe. Zugleich weisen ihn seine Interpretationen nicht durchweg als Jünger Karajans aus, dessen Mahler-Aufnahmen heute keinen Referenzcharakter haben.
Doch die Freude an fein gewebten, zart schimmernden Klangfarben, die zu Karajans Klangästhetik gehört, ist auch bei Jansons zu finden, namentlich in der aktuell vorliegenden Symphonie Nr. 2, deren häufig verwendeter Beiname „Auferstehung“ nicht von Mahler selbst stammt, sondern dem Thema des letzten Satzes geschuldet ist. Die fünfsätzige Zweite ist von 1888 bis 1894 entstanden, in der Budapester und Hamburger Zeit Mahlers. Sie ist gewaltig angelegt für zwei Solistinnen, großen Chor und entsprechendes Orchester und greift (instrumental) das Lied „Des Antonius’ von Padua Fischpredigt“ sowie vokal das „Urlicht“ auf – beide entstammen der Sammlung Des Knaben Wunderhorn. Erstmals führt Mahler hier Singstimmen in seine Symphonien ein. Dem ersten Satz, einer „Totenfeier“, gegenüber steht der hymnische letzte mit der Emphase der Auferstehung, die alle emotionalen und klanglichen Dämme brechen lässt.
Mit dem BR-Symphonieorchester erreicht Mariss Jansons eine selten dagewesene Stringenz, einen unerbittlichen Sog. Doch wie macht er das? Natürlich auch durch sorgsam geplante Steigerungen, vor allem jedoch durch Präzision. Während Dirigenten wie Leonard Bernstein den Anfang des letzten Satzes und andere Kulminationspunkte eher ungeordnet hervorbrechen lassen, besticht Jansons durch kühl kalkulierte Genauigkeit, deren Zielpunkte dann umso erschütterndere Eruptionen sind – gewaltige Schläge mit dem Präzisionshammer, zielgenaue Peitschenhiebe, die in den Gehörgängen wie Feuer brennen. Umso größer sind die Gegensätze zu den Mahler’schen Ruhephasen, diesen Inseln der Glückseligkeit – und zu den bis an die Grenze des Kitsches geführten Melodien im Andante moderato.
Im „Urlicht“-Satz singt Bernarda Fink mit viel Volumen in der Tiefe, zugleich aber zu viel Vibrato. Schlichtheit wäre angemessener, wenn es um Englein und Lichtlein geht. Anja Harteros bleibt bei ihrem kurzen Einsatz im Schlussabschnitt unaufdringlich. Der Rundfunkchor glänzt. Und das BR-Symphonieorchester ist bei dieser Aufnahme wieder eine Klasse für sich. „Ein Orchester, das alles kann“, sagt Mariss Jansons.
Johannes Killyen