Gustav Mahler

Symphonie No. 3 in D Minor

Bettina Ranch (Alt), Essener Philharmoniker, Ltg. Tomáš Netopil

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Oehms Classics
erschienen in: das Orchester 04/2024 , Seite 72

Nach der neunten, sechsten und zweiten Sinfonie ist nun auch die dritte Sinfonie von Gustav Mahler mit den Essener Philharmonikern als Live-Mitschnitt aus der Philharmonie in Essen unter der Leitung von Tomáš Netopil auf CD erschienen. Auch sie belegt die Qualität dieses Zyklus mit dem tschechischen Dirigenten, der von 2013 bis 2023 Generalmusikdirektor des Orchesters und der Aalto-Oper war. Einmal mehr ist die Klangkultur und technische Meisterschaft des Orchesters zu bewundern.
Vergleiche zwischen Dirigenten und deren Interpretationen sind immer heikel und hinken meist mehr oder weniger. Doch dass beim Hören dieser Aufnahme zumindest Erinnerungen an eine der schönsten Aufnahmen des Werks wach werden, ist kein Zufall. Ich meine die Einspielung unter Rafael Kubelik mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks von 1967. Interessanterweise braucht Tomáš Netopil in den meisten Sätzen ziemlich genau die gleiche Zeit wie einst sein Landsmann. Und auch sein Zugang zu der wohl längsten Sinfonie der Musikgeschichte ist wie bei diesem von einem natürlichen Fluss, einem weiten Atem und großer formaler Übersicht geprägt.
Der Essener Mahler von Tomáš Netopil hat Würde und Wärme und bringt damit die Naturmystik des Werks und seine universelle Anlage bestens zur Wirkung. Der Dirigent durchleuchtet die Partitur sehr genau und macht viele Nebenstimmen hörbar, die sonst häufig untergehen.
Die Deutung hat viel Poesie, zum Beispiel in der Posthorn-Episode des dritten Satzes, auch Energie ohne hohle Kraftmeierei im riesenhaften, sicher entfalteten ersten Satz – und nicht zuletzt einen erhabenen Charakter. Dieser prägt natürlich vor allem das Finale. Der Satz wird nicht selten zerdehnt. Tomáš Netopil dagegen schlägt ein ruhig fließendes Tempo an und entwickelt die Musik daraus ganz organisch und wunderbar zwanglos. Die dramatischen Ausbrüche sind dabei keineswegs unterbelichtet und in ihrer formalen Bedeutung voll erfasst. Aber jede Effekthascherei ist dem Musizieren hier fremd. Dafür gibt es sehr viele erfüllte Momente und herrliche Übergänge. Die letzte große Steigerung ab dem leisen Einsatz von Trompete und Posaune führt zu einem ausschwingenden emphatischen Gesang ohne Worte, bei dem ohne Bombast alles gesagt ist. In diesem letzten Takt wird die Grundhaltung dieser Wiedergabe noch einmal auf den Punkt gebracht: Mahler von innen heraus beim Wort genommen.
Eine ausgezeichnete Alt-Solistin im vierten und fünften Satz ist die seit 2016 an der Essener Oper engagierte Bettina Ranch, die ihren Part mit einem sehr erlesenen Ton und sehr deutlicher und ausdrucksvoller Diktion ausstattet.
Im fünften Satz mit dem Wunderhorn-Text von den singenden Engeln überzeugen die klar singenden Chöre sehr: die Damen des Philharmonischen Chores Essen, der Aalto-Kinderchor und der Kinderchor der Deutschen Oper Berlin.
Karl Georg Berg