Sunleif Rasmussen

Symphonie No. 2 „The Earth Anew”

Cyndia Sieden (Sopran), Bo Skovhus (Bariton), Akademiska Sångföreningen, Muntra Musikanter, Helsinki Philharmonic Orchestra, Ltg. John Storgårds

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Dacapo 8.226175
erschienen in: das Orchester 01/2017 , Seite 64

Sunleif Rasmussen ist der einzige akademisch ausgebildete Komponist der Färöer. 1961 auf der Insel Sandoy geboren und am Klippenrand aufgewachsen, zog er als Siebzehnjähriger studienhalber nach Norwegen. Als er in Oslo ein Symphonieorchester mit Strawinskys Sacre gehört hatte, stand sein Berufswunsch fest. Nach seiner musikalischen Grundausbildung wirkte er als Musiklehrer in Tórshavn, bevor er 1988 nach Kopenhagen übersiedelte, wo ihn Ib Nørholm in seine Kompositionsklasse am Königlichen Musikkonservatorium aufnahm.
Im Auftrag von Nordens Hus in Tórshavn schrieb Rasmussen bald nach Studienabschluss seine erste Symphonie Oceanic Days. 2002 mit dem Musikpreis des Nordischen Rats ausgezeichnet, brachte sie ihm den Durchbruch in Nordeuropa. Seitdem sind die überwältigende nordatlantische Inselnatur und der traditionelle Lied- und Balladenschatz der Färöer wesentliche Quellgründe seines Schaffens. Mit Regin der Schmied für Soloquartett, Kammerchor, Posaune und Schlagzeug begab er sich 2008 erstmals in die Erzähllandschaft der nordischen Sagenwelt. Das Vierjahresprojekt Stemmer fra Nordatlanten des Kopenhagener Vokalensembles Ars Nova gab 2009 den Anstoß zu dem halbstündigen Chorwerk Gylfaginning auf Verse der Schöpfungsvision Völuspá (Der Seherin Weissagung) aus der Lieder-Edda und der Dialogdichtung Gylfaginning (König Gylfes Täuschung) aus der jüngeren Edda des Snorri Sturluson.
Gylfaginning ist gleichsam die Keimzelle von Rasmussens zweiter, groß angelegter Symphonie mit Vokalsolisten und Männerchor. Ihr Untertitel The Earth Anew verweist auf die finale Götterdämmerung. Ziehvater des Werks ist der finnische Dirigent und Violinist John Storgårds. Nachdem er 2006 als Chef des Philharmonischen Orchesters Helsinki Rasmussens Erste aufgeführt hatte, bestellte er zum Sibelius-Jahr 2015 eine neue Symphonie, gedacht als eine Art Gegenstück zu dessen Kullervo-Sinfonie.
Die vorzügliche, bald nach der Uraufführung in der Konzerthalle Helsinki entstandene Aufnahme entfaltet in vier wirkmächtigen Sätzen den Lebenszyklus der „Weltesche“ Yggdrasil. Ihre Wurzeln, die zugleich in der Trollwelt, der Hölle und der Menschenwelt haften, benagt der Drache Nidhögg, während ein Adler die Krone ziert. Zwischen ihnen wieselt ein klatschhaftes Eichhörnchen hin und her, bis der Lebensbaum zugrunde geht, um in einer neuen Welt aufzuerstehen.
Textquellen der dramatisch hochgespannten, stellenweise an Heavy Metal erinnernden, rhythmisch resoluten Symphonie sind Fragmente aus Völuspá, Gylfaginning und dem Grimnirlied (im Beiheft original sowie in englischen und dänischen Nachdichtungen abgedruckt). Der altnordische Sprachklang gibt den Vokalpartien eine archaische Tönung. Die Gesangssolisten stehen für das erste Menschenpaar der Edda-Welt: Ask und
Embla.
Lutz Lesle