Schmidt, Franz
Symphonie No. 2 Richard Strauss, Dreaming by the Fireside
Wiener Philharmoniker, Ltg. Semyon Bychkov
Franz Schmidt (1874-1939) zählt zur Komponistengeneration, in deren Schaffenszeit der Traditionsbruch der Neuen Musik fiel. Wie Richard Strauss (1864-1949) hat auch er diesen Bruch nicht mitvollzogen, und wie dieser war er kein Gegner des Nationalsozialismus, hat vielmehr 1938 für den Anschluss Österreichs an das nationalsozialistisch regierte Deutschland gestimmt.
Das über 45 Minuten dauernde Werk für ein groß besetztes Symphonieorchester entspricht dem Zeitgeschmack vor dem Ersten Weltkrieg, dem Zug ins Monumentale und Kolossale, der sich ebenso in den Tondichtungen von Richard Strauss oder den Riesengemälden von Hans Makart zeigt. Beim Hören fallen durchaus Längen auf: Nicht alle Variationen im Mittelsatz sind so unterschiedlich und charakteristisch, dass sie den Hörer fesseln könnten. Die Fuge am Anfang des Schlusssatzes wirkt stellenweise handwerklich und gelehrt: Da kann der Komponist Schmidt nicht den Professor Schmidt an der Wiener Musikakademie verbergen.
Überhaupt, diese Symphonie ist eine große Summa der vom Barock über die Klassik bis zu Brahms und Bruckner wirkenden Musiktraditionen, geschrieben kurz vor deren Zusammenbruch im Ersten Weltkrieg. Die Themen der einzelnen Sätze sind miteinander verflochten, sodass sich eine untergründige musikalische Einheit ergibt. Die vielfältigen Klangfarben des Orchesters werden mit einer hochentwickelten Instrumentationskunst eingesetzt, um ein großes symphonisches Gemälde zu schaffen. Während Gustav Mahler die Brüche seiner Zeit wie Wunden aufdeckte, setzt Schmidt sein immenses Können ein, um eine letzte große Synthese zu schaffen. Dennoch zeigt er das Dissonante, das Laute und Bedrohliche der Welt, aber immer findet er einen Weg der Lösung mit Hilfe seiner virtuosen Kompositions- und Instrumentationstechnik.
Die Wiener Philharmoniker unter Semyon Bychkov besitzen alles, um eine solche Musik glaubhaft aufführen zu können: Tradition, Artikulation und eine Fülle von Klangfarben. Wer sich diesem Kolossalgemälde hingibt, erfährt eine dreiviertel Stunde lang beglückende Musik, die ihn in die K.-u.-k.-Monarchie zurückführt. Die Oper Intermezzo von Richard Strauss sollte eine ganz moderne, absolut realistische Charakter- und Nervenkomödie sein, wie der Komponist 1916 an Hugo von Hofmannsthal schrieb. Das Symphonische Zwischenspiel Träumerei am Kamin hat einen wesentlich transparenteren und damit moderner wirkenden Orchesterklang als Schmidts Symphonie. Nervenmusik ist es dennoch nicht: Diese Musik wendet sich zurück in die Vergangenheit, symbolisiert damit auch das alte Wien, das bei der Uraufführung 1924 untergegangen war.
Die Wiener Philharmoniker lassen diesen Klang Harald Haslinger charakterisiert ihn im Beiheft als Alte-Welt-Wärme überzeugend, authentisch und nostalgisch wieder aufblühen. Wie schön und trügerisch kann doch Kunst sein!
Franzpeter Messmer