Friedrich Schneider
Symphonie No. 16 A-Dur/Ouvertures
Anhaltische Philharmonie Dessau, Ltg. Markus L. Frank
Friedrich Schneider muss zu jener seltenen Spezies von Menschen gehört haben, die fähig zur Bilokation waren – seine vielen Tätigkeiten legen nahe, dass er offenbar gleichzeitig an mehreren Orten sein konnte oder sich mindestens gut vertreten ließ. Der vielleicht wichtigste Hofkapellmeister des Dessauer Theaters (1786-1853), ein gebürtiger Sachse, war aus Leipzig 1821 in die Stadt an Mulde und Elbe gekommen. Zuvor hatte er unter anderem als Organist der Thomaskirche gedient und Beethovens fünftes Klavierkonzert uraufgeführt. In Dessau nun wirkte er nicht nur als Hofkapellmeister, sondern auch als Leiter von Oper, Singakademie und Herzoglichem Singechor, außerdem als Hoforganist, Chef der Kirchenmusik und einer bedeutenden Musikschule. Letztere war führend in Mitteldeutschland, bis in Leipzig der junge Mendelssohn auf den Plan trat. Zahlreiche gerade für die Region wichtige Komponisten absolvierten hier ihre Lehrjahre. Bis 1844 waren es 120 Absolventen. Die Dessauer Liedertafel gründete Schneider gemeinsam mit dem Dichter Wilhelm Müller. Schneider ist als Komponist vor allem bekannt für sein Oratorium Das Weltgericht, das wichtigste seiner Gattung zwischen Haydn und Mendelssohn. Doch war er auch ein guter Symphoniker. Das macht eine aktuelle CD deutlich, die die Anhaltische Philharmonie Dessau unter Leitung von Generalmusikdirektor Markus L. Frank ihrem Ahnherrn gewidmet hat. Überhaupt ist lobend zu erwähnen, dass Dessauer Werke oft vom Orchester gespielt werden. Etliche sind bereits auf Tonträger erschienen, immer wieder tauchen sie auch in Konzertprogrammen auf. Zentrales Werk dieser Aufnahme ist die 16. Symphonie Schneiders in A-Dur aus dem Jahr 1819 (es folgten später noch sieben weitere), die nicht nur mit der Tonart auf Beethovens siebte Symphonie Bezug nimmt, ohne ihre Eigenständigkeit darüber aufzugeben. Auch die Verarbeitung des Tonmaterials erinnert manchmal an das Wiener Vorbild: Schneider schreibt elegant, pulsierend und hat seine Stärke mehr in der raffinierten Veränderung des Materials als im melodischen Einfall. Seine Instrumentation verrät den erfahrenen Praktiker. Meist kommen seine Werke ohne große romantische Dramatik und Betrübnis aus, man hört sie gern – auch die Ouverture tragique op. 45, die Festouvertüre Gaudeamus igitur über Motive akademischer Lieder, vor allem jedoch die mit beschwingtem Gleichschritt einherschreitende Ouvertüre über den Dessauer Marsch. Den hat bekanntlich der Alte Dessauer aus dem Krieg in Italien mitgebracht. Böse Zungen behaupten, er habe kein anderes Lied gekannt. Wie dem auch sei: Schneider macht ordentliche Musik daraus. Da wird anhaltisch-preußischer Drill von italienischer Glut befeuert. Die Anhaltische Philharmonie musiziert leicht und präzise. Der Text des Booklets ist kundig geschrieben, nur ein wenig klein gedruckt. Angesichts des Repertoirewertes trotzdem fünf Punkte.
Johannes Killyen