Mendelssohn Bartholdy, Felix
Symphonie in a
"Schottische" op. 56 (1842-43), hg. von Christopher Hogwood, Urtext, Partitur
Ergriffen sei er gewesen, der junge Felix Mendelssohn, so geht es aus seinen Briefen hervor, als er zum Schluss seiner ersten Reise nach Großbritannien den Norden der britischen Inseln durchquerte. Die schottische Nebelstimmung, die urwüchsige Landschaft und die geschichtsträchtigen Ruinen faszinierten den jungen Mendelssohn und inspirierten ihn nicht allein zur Hebriden-Ouvertüre, sondern auch zu der Sinfonie, die später den Beinamen Schottische erhalten sollte.
Aber es war ein langes Ringen um die Gestalt und Form dieser Sinfonie, von den Reisenotizen 1829 über einige Vorwehen in Leipzig bis zur ersten Aufführung in London 1842. Es war aber auch eine Zeit des Umbruchs, der Neufindung der sinfonischen Form und eine Zeit, in der sich die Rolle des Dirigenten neu definierte. Während der Orchesterleiter vom einfachen Organisator zum Herrn über die Interpretation aufstieg, begann mit Mendelssohns Sinfonie auch die Praxis des nahtlosen Spiels aller Sätze ohne Applauspausen. Dass alle Sätze attacca, dass alle Teile des Werks als Einheit zu hören waren, war Mendelssohn genauso wichtig, wie es die Zeitgenossen verblüffte. Und so war das Ringen mit den ersten Aufführungen noch nicht vorbei. Nach den ersten Geburtswehen in Leipzig führte Mendelssohn seine inzwischen der Königin Victoria gewidmete Sinfonie 1842 in London auf, doch noch vor dem Erstdruck 1843 bei Breitkopf & Härtel wurde sie nochmals gründlich umgearbeitet. Immer wieder wurde an der Orchestrierung gearbeitet, wurden Tempi verändert, Stimmungen neu eingekleidet und Takte gestrichen.
Mit der nun vorliegenden Urtext-Ausgabe kann man endlich den mühevollen Weg Mendelssohns nachvollziehen. Herausgeber Christopher Hogwood, der auch die früheren Urtext-Ausgaben Mendelssohns dieser Reihe betreut hat, hat den Werdegang dieser Sinfonie klar und umfangreich nachgezeichnet, nicht nur im Vorwort, sondern gerade im Partiturtext. Auf Basis der wenn auch nicht ganz zuverlässig aus den Stimmen zusammengeschriebenen Partitur der Londoner Aufführung von 1842 rekonstruierte er diese erste Fassung. Dem gegenüber steht der ein Jahr später erschienene Erstdruck. Die Ecksätze liegen für die 1842er wie die 1843er Version als komplette Partitur vor, in den Binnensätzen begnügte er sich zu Recht mit dem Einpflegen der Änderungen im ossia-Verfahren und im kritischen Apparat (nur in englischer Sprache). Änderungen in Stimmführung und Klangfarbe sind jetzt nachvollziehbar. Ausgewählte Faksimileseiten verdeutlichen das Ringen um die Gestalt noch zusätzlich. Für jeden, der sich mit Mendelssohns Sinfonik näher beschäftigt, ist diese Urtext-Partitur ein unverzichtbarer Begleiter.
Markus Roschinski