Mendelssohn Bartholdy, Felix

Symphonie in A / Symphonie in d

"Italienische" op. 90, Partitur / "Reformations-Symphonie" op. 107, Partitur, hg. von Christopher Hogwood

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2009
erschienen in: das Orchester 11/2009 , Seite 67

Die Mendelssohn-Philologie steckt offensichtlich noch in ihren Anfängen. Nur so ist es zu erklären, dass die Neufassung der drei letzten Sätze einer der beliebtesten Symphonien überhaupt, der „Italienischen“ Symphonie Nr. 4 op. 90, mit bemerkenswerten Abänderungen erst 2001 publiziert wurde, nachdem drei Jahre zuvor, 1998, diese Sätze von John Eliot Gardiner und den Wiener Philharmonikern eingespielt worden waren. Und die beträchtlichen Kürzungen, die Mendelssohn anlässlich der Uraufführung seiner „Reformations-Symphonie“ Nr. 5 op. 107 vornahm, macht sogar erst jetzt Christopher Hogwood mit seiner hier vorliegenden Ausgabe des Werks bekannt. Immerhin fiel diesen Kürzungen der ursprüngliche IV. Satz zum Opfer, eine Art instrumentales Rezitativ von 28 Takten, das Mendelssohn durch vier recht harmlose Überleitungstakte ersetzte.
In diesen Fassungen spiegelt sich die wachsende Distanz wider, die Mendelssohn zu diesen beiden Symphonien gewann, eine Distanz, die auf uns gänzlich rätselhaft und unverständlich wirken mag. Die 5. Symphonie komponierte Mendelssohn 1830 anlässlich der Feiern zum 300. Jahrestag des Augsburger Glaubensbekenntnisses. Freilich konnte er das Werk nicht rechtzeitig fertig stellen. Erst 1832 führte er es in Berlin mit erheblichen Kürzungen auf; doch ließ er es liegen und erklärte 1838 dann sogar, er könne diese Symphonie „nicht mehr ausstehen“ und möchte „sie lieber verbrennen“. Erst 1860, 13 Jahre nach seinem Tod, wurde die Symphonie in der gekürzten Fassung von 1832 veröffentlicht.
Mit der 4. Symphonie hielt es Mendelssohn kaum anders. Obwohl sie mit großem Erfolg 1833 in London uraufgeführt wurde, revidierte er 1834 die drei letzten Sätze erheblich. Die geplante Revision des ersten Satz, den er noch gründlicher verändern wollte, nahm er dann wegen Arbeitsüberlastung nicht mehr auf. „Im Ganzen glaub ich“, mahnte ihn völlig zu Recht die Schwester Fanny, „gehst Du zu leicht daran, ein einmal gelungenes Stück später umzuarbeiten, blos weil Dir dies u. jenes dann besser gefällt.“ Veröffentlicht wurde die erste Fassung, die Mendelssohn nicht gelten lassen wollte, erst 1851.
Christopher Hogwood befriedigt mit seinen Ausgaben dieser beiden Symphonien alle Wünsche der Musiker und Musikliebhaber. Er druckt alle Fassungen ab, soweit sie sich erhalten haben, berichtet im „Critical Commentary“ (nur auf Englisch) über die Quellen und über seine editorischen Entscheidungen und trägt in einer (nun zweisprachigen) Einleitung alle authentischen Informationen zu den Werken zusammen – einschließlich wertvoller Hinweise zur zeitgenössischen Orchesterpraxis. Der Druck mit zahlreichen Faksimiles, der leider glaubt, selbstverständliche Ergänzungen typografisch besonders kennzeichnen zu müssen, ist sonst freilich vorbildlich.
Giselher Schubert