Hector Berlioz

Symphonie fantastique/Lelio

Cyrille Dubois, Florian Sempey, Ingrid Marsoner, Jean-Philippe Lafont, Wiener Singverein, Chorltg. Johannes Prinz, Wiener Symphoniker, Ltg. Philippe Jordan

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony Music
erschienen in: das Orchester 10/2019 , Seite 64

Österreicher werden bei dieser Aussage vermutlich protestieren, doch von jenseits der Grenze aus betrachtet stehen die Wiener Symphoniker etwas im Schatten der Philharmoniker. Dabei sind sie ein ebenso traditionsreicher Klangkörper und in der Öffentlichkeit präsenter als die berühmteren Kollegen. Das Orchester mit seinem verhältnismäßig jungen Ensemble absolviert neben seinem normalen Spielbetrieb zahlreiche Tourneen und ist seit 1946 jeden Sommer Orchestra in Residence der Bregenzer Festspiele. Seit 2006 wirkt es bei Opernproduktionen im Theater an der Wien mit. Zugleich sind die Wiener Symphoniker ein Orchester, das sich un­ter Leitung des Schweizer Dirigenten Philippe Jordan konsequent dem klassisch-romantischen Repertoire widmet (ab September 2020 wird der Kolumbianer Andrés Orozco-Estrada Jordan benachfolgen). Neben vielen Beethoven- und Brahms-Aufnahmen mutet die aktuelle Doppel-CD des Orchesters mit der Symphonie fantastique von Hector Berlioz fast exotisch an, zumal die zweite CD das Lyrische Monodram Lélio oder die Rückkehr ins Leben op. 14b enthält, eine Fortsetzung der programmatischen Sinfonie. Als Musterwerk der Programm­musik vertont die Symphonie fantastique (1830) bekanntlich die Regungen eines hypersensiblen Ichs, das an unerfüllter Liebe leidet und schließlich in Wahnvorstellungen verfällt, in denen wie im Fiebertraum ein Tanzball, eine einsame Szene auf dem Lande, ein Richtplatz und eine Sabbatnacht auftauchen. Durch alle fünf Sätze zieht sich das Motiv der sprichwörtlichen „idée fixe“, die für die unerreichbare Geliebte steht. Tragischerweise hat der Komponist Ähnliches im richtigen Leben durchlitten. Lélio (1832) bringt für den Protagonisten, natürlich einen Komponisten, endlich die Erlösung, die dieser in der reinen Musik findet. Das „Melodram“ ist deutlich disparater als die Sinfonie: Es gibt lange Monologe, dazwischen lyrische Klavierlieder und Chöre, die teilweise anderen Werken entnommen wurden. Oft ist Lélio noch nicht aufgenommen worden. Der von Johannes Prinz einstudierte Wiener Singverein präsentiert sich hier formidabel; makellos glänzend und französisch-leicht der Tenor von Cyrille Dubois; geschmeidig der Bariton von Florian Sempey. Um den schön rezitierten Worten von Jean-Philippe Lafont über die ganze Dauer hinweg folgen zu können, muss man schon großen Enthusiasmus für die französische Sprache mitbringen. Durchweg überzeugend auch die Symphonie fantastique selbst: Philippe Jordan und die Wie­ner Symphoniker bringen Feuer und Transparenz zusammen, spielen elegant, ohne die vielen Kuriositäten (Serpent!) der Berlioz’schen Instrumentierung einzuebnen. Dennoch ist angesichts der zahllosen Einspielungen der Symphonie fantastique der Repertoirewert dieser ansonsten berückend schönen Aufnahme nur begrenzt. Im Booklet hätte man die Texte lieber etwas kürzer halten und dafür größer drucken sollen. So braucht man dafür fast eine Lupe.
Johannes Killyen