Rosenblatt, Alexander

Swinging Fugue

für Violine solo

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2014
erschienen in: das Orchester 02/2015 , Seite 73

Den Typus des Crossover-Komponisten, pendelnd zwischen E und U, zwischen seriöser Opern- und Konzertmusik, Jazz, Film-Soundtrack, Folk, Rock und Pop assoziierte man lange nahezu ausschließlich mit der amerikanischen Musikszene. Was hier in Europa als anrüchig und eher unseriös gilt, nämlich dass sich ein ernsthafter Tonschöpfer im Bereich der „Unterhaltungsmusik“ tummelt, wird dort traditionell als völlig normal empfunden. (Wie man persönlich dazu steht, ist eine andere Frage, das mag sich jeder selbst beantworten. Ästhetik ist bekanntermaßen ein weites Feld.) Gershwin und Bernstein schrieben außer Konzerten und Symphonien Broadway-Musicals; Korngold, Rósza, Previn und Glass Filmmusik für Hollywood (Ivanhoe, Ben Hur, Irma la Douce, Dracula, Kundun), ausgewiesene Jazz-Größen wie David Baker Konzerte und symphonische Musik.
Selbst wenn in Europa die musikalischen Welten in der Regel getrennt blieben, so hat doch gerade der Jazz auf die eine oder andere Art durchaus Eingang in unsere Kunstmusik gefunden. Auch zahlreiche bedeutende europäische Komponisten haben sehr wohl stilistische Elemente des Jazz in ihre Werke integriert, etwa Ravel (Blues der Violinsonate) und Strawinsky (Ragtime).
Der Moskauer Alexander Rosenblatt, Jahrgang 1956, entstammt einer Musikerfamilie; die Mutter war Pianistin, der Vater Geiger. Er studierte am Moskauer Konservatorium Klavier bei Pavel Messner und Komposition bei Karen Khachaturian und beschäftigt sich seit seiner Studienzeit auch intensiv mit Jazz. In seinem Werkverzeichnis finden sich Stücke wie Etude in Blue, Bumble-Bee-Bop, Jazz Sonata, Blues (für Cello und Klavier) und If Scarlatti could swing. Ich sehe Rosenblatt ein wenig in der Tradition von Nikolai Kapustin, der in Russland als einer der Ersten ganz prononciert und gegen die gängige sowjetische Musikdoktrin klassische Formen und Jazz miteinander zu verbinden versuchte.
Nun also Swinging Fugue für Sologeige, geschrieben für den russischen Geiger Sergey Dogadin. Gedacht ist das Werk als wirkungsvolles virtuoses Konzert- und Zugabestück, gehalten quasi in leichtem, elegantem Plauderton. Es handelt sich um eine eher angedeutete als streng durchgeführte Dreistimmigkeit, eher lockeres Fugato als strenge Fuge im klassischen Sinn. Wie bereits der Titel nahelegt, wird die Komposition rhythmischdominiert von den typischen Swing-Triolen. Die harmonische Struktur mit ihren Alterationen ist recht raffiniert konzipiert, verlässt im Übrigen aber nie wirklich die Tonalität. Auffällig ist das nahezu komplette Auslassen mehrstimmiger Akkorde, wie man sie man sie bei einer Fuge für Solovioline sonst kennt (Bartók-Solosonate!) und a priori vermutet. Swinging Fugue ist fast durchweg zwei-, ab und an auch einstimmig gehalten, was jedoch keinesfalls bedeutet, dass das Stück leicht zu spielen wäre. Es ist gespickt mit Doppelgriffen jeglicher Art, Terzen, Quarten, Sexten usw. und durchaus von erheblichem virtuosen Anspruch.
Fazit: empfehlenswert für Profis, die eine interessante, effektvolle, „andere“ Zugabe suchen.
Herwig Zack