Sondheim, Stephen

Sweeney Todd

The Demon Barber of Fleet Street. A Musical Thriller, 2 CDs

Rubrik: CDs
Verlag/Label: BR Klassik 900316
erschienen in: das Orchester 04/2013 , Seite 75

In seinem Friseurladen an der Londoner Fleet Street rasiert Sweeney Todd nicht nur Kinnladen, schneidet er nicht nur Haare. Nein, der ehemals unschuldig verurteilte und unter falschem Namen aus der Verbannung in Australien zurückgekehrte Barbier schneidet auch Juristenkehlen durch. Zuvörderst hat er es auf die des bösen Richters Turpin abgesehen, der ihm seine Frau und seine Tochter genommen hat. Dass der Pasteten-
laden der Nachbarin Mrs. Lovett derweil einen gewaltigen Aufschwung erlebt, das nimmt wunder. Wer ahnt schon, dass der Barbier die Küche gratis mit Fleisch versorgt: mit dem Menschenfleisch seiner alten Feinde.
Den skurrilen britischen Humor des Plots in Stephen Sondheims Musical Sweeney Todd von 1979 sollte man eigentlich auf der Bühne genießen, etwa wenn die solchermaßen Bestraften gleich über Fließband vom Friseurstuhl in die Bulettenküche transportiert werden. Vielleicht auch auf der DVD von der Filmversion mit Johnny Depp.
Doch der Bayerische Rundfunk hat sich entschlossen, eine konzertante Version aus dem Prinzregententheater vom Mai 2012 mit seinem Rundfunkorchester und -chor sowie internationalen Solisten auf Doppel-CD herauszubringen, womit die Qualität der Musiktheaterstücke des New Yorker Broadway insgesamt gewürdigt wird, der Stücke also von Irwin Berlin und George Gershwin über Richard Rodgers und Cole Porter bis heute – und insbesondere die der Stücke von Stephen Sondheim. Das Besondere an ihm: Er schreibt sowohl die Melodien als auch die Songtexte selbst (Sondheim war übrigens als Texter an Leonard Bernsteins Westside Story beteiligt). Der 1930 geborene Kompositionsschüler des Avantgardisten Milton Babbitt ist Träger des Pulitzer-Preises sowie vieler Awards und Autor von mehr als einem Dutzend erfolgreicher Stücke. Vor allem einzelne Songs daraus wurden zu Hits, nein, zu mehr: zu Standards, die von vielen bedeutenden Interpreten gestaltet wurden. Ein Beispiel aus dem zweiten Akt von Sweeney Todd ist Barbra Streisands Version von „Not while I’m around“.
Eigentlich ist Sweeney Todd auch mit weitaus kleinerer Besetzung als dem Münchner Orchester unter dem Chefdirigenten Ulf Schirmer und dem von Jörn Hinnerk Andresen einstudierten Münchner Chor zu bewältigen. Doch die beiden opulenten Ensembles geben der Musik dieser tiefschwarzen Operette auch besonderen Glanz. Die Solisten verliehen ihren Rollen schon allein kraft ihrer stimmlichen und artikulatorischen Mittel Plastizität und Glaubhaftigkeit, allen voran der Bariton Mark Stone in der Titelpartie und die Mezzosopranistin Jane Henschel als Mrs. Lovett. In den anderen Rollen liefern Jonathan Best als Turpin, Gregg Baker als Hope, Rebecca Bottone als Johanna, Diana DiMarzio als Bettlerin und Pascal Charbonneau als Toby Ragg mit dem Streisand-Hit schlüssige Interpre-
tationen ab. Also: Diese Doppel-CD bietet Stephen Sondheims Musik in idealer Form. Wenn das Booklet statt der BR-Infos noch das Textbuch enthielte, könnten die CDs fast eine Bühnenversion ersetzen.
Günter Buhles