Violeta Dinescu / Johann Sebastian Bach

Suites & Roses for Violoncello solo / Suiten Nr. 1 und Nr. 2

Katharina Deserno (Violoncello)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Kaleidos
erschienen in: das Orchester 03/2020 , Seite 72

Weithin bekannt geworden ist die Komponistin Violeta Dinescu mit ihrer 1986 in Mannheim uraufgeführten und danach andernorts viel gespielten Kinderoper Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee nach einer Kästner-Erzählung. Weitere Bühnenwerke sind etwa die Kammeropern Hunger und Durst nach Ionesco, Eréndira nach García Márquez und Schachnovelle nach Zweig sowie die Ballette Der Kreisel nach Mörike und Effi Briest nach Fontane. Unter ihren Orchesterstücken nimmt eine Filmmusik von 1988 zu Murnaus Tabu einen besonderen Platz ein.
In ihrer Kammermusik ist Dinescu aber auch eine Meisterin der kleinen Form, besser gesagt: der kleinen oder kleinsten Besetzungen. Das beweist sie jetzt mit drei Stücken für Violoncello solo, auf CD eingespielt von der Frankfurter Virtuosin und Hochschulprofessorin Katharina Deserno. Die Stücke Sieben Rosen, Kleine Suite und Abendandacht werden auf der CD Bachs Suiten Nr. 1 G-Dur BWV 1007 und Nr. 2 d-moll BWV 1008 gegenübergestellt.
Die aus Rumänien stammende, seit 1982 in Deutschland lebende und seit 1996 in Oldenburg lehrende Komponistin schrieb mehrere Zyklen für Flöte, aufgenommen von Ion Bogdan mit Instrumenten in ganz verschiedenen Tonlagen und im Studio mittels Überspielungen auf bis zu 32 Stimmen gebracht. Für den Cellisten Marcel Spinei schuf Dinescu eine Serie von neun Lytaniae für Celli, in denen durch Überspielungen eine Vervielfachung auf 53 Stimmen vollzogen wird. In der Nachbarschaft von Bach bleibt die Musik – passenderweise in einer Kirche eingespielt – beim Klang eines einzigen Instruments, nur in kurzen Momenten um die Singstimme der Solistin erweitert.
Sieben Rosen ist eine Serie von klangsinnlichen Miniaturen, alle weniger als zwei Minuten lang, doch in Spieltechniken und Dynamik variantenreich. Am überzeugendsten wirkt der vierte Satz, weil er fast erzählerisch anmutet und mit einer parallel geführten Gesangslinie der Cellistin aufwartet.
Der im Booklet abgedruckte Beginn der Kleinen Suite lässt an ein kalligrafisches Kunstwerk denken, das weniger eine konkrete Vorgabe liefert als vielmehr eine Förderung der Inspiration des Interpreten. Im Abschnitt „Libero“ wird ein tiefer Ton forte angespielt, dann zurückgenommen und glissandoartig verschliffen; filigranere, dynamisch gesteigerte Elemente folgen, bevor sich eine in Achteln bis 32teln notierte Linie entwickelt. In „Molto rubato“ hören wir wieder kurz Desernos Stimme, expressiv sogar im „Vivo“. Das „Tranquillo“ führt von Ruhe zu einem Ausbruch und zurück, bevor es im „Agitato“ wieder instrumental und vokal zur Sache geht. Die lyrische „Abendandacht“ bezeichnet die Cellistin als „Ausgangspunkt und Quelle der CD“.
Katharina Desernos Interpretationen der Bach’schen Suiten sind meisterhaft. Wie es für Bach ja gilt, verzichtet sie auf jedes vordergründige Ausspielen von Virtuosität. Mit maßvoller Dynamik baut sie weite Spannungsbögen. Konzerte mit allen Zyklen dieser CD dürften ein Erlebnis sein.
Günter Buhles