Saint-Saëns, Camille

Suite op. 16 für Violoncello und Orchester

hg. von Maria Kliegel, Klavierauszug

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2010
erschienen in: das Orchester 07-08/2011 , Seite 71

Man schlägt die Partitur auf und denkt an Bach. Das Prelude der Suite op. 16 für Violoncello und Orchester erinnert mit seinen auf- und abwiegenden Sechzehntelbewegungen, dem spielerischen Hangeln von Harmonie zu Harmonie gleich an die Präludien aus den Suiten des barocken Übervaters. Auch die Kompositionsform Suite fällt aus der Epoche; 1866, als das Stück komponiert wurde, führte sie hauptsächlich ein Dasein als knappe und populistische Zusammenfassung von Opern, das Beste aus Rock, Pop und Tenorarie sozusagen.
Saint-Saëns war stets stark an den Traditionen westlicher Musikgeschichte und der Aufbereitung ihrer Formen interessiert und somit ist Opus 16 ein Zusammenschluss tradierter Kompositionskonventionen und dem Geist der sich anbahnenden französischen Moderne – 1866 ist gleichzeitig das Geburtsjahr Erik Saties.
Zuerst wurde das Stück als Suite für Violoncello und Klavier komponiert. Im neuen Jahrhundert orchestrierte es der Komponist, zwei Sätze hat er dafür gestrichen und durch eine Gavotte und eine Tarantelle ersetzt. Schott hat diese Orchesterfassung jetzt neu als Klavierauszug herausgebracht, im bekannten grauen Umschlag und blätterfreundlich gedruckt.
Natürlich ist selten die Chance gegeben, das Stück mit Orchester zu spielen, und da es ja auch eine Fassung mit Klavier gibt, ist es sinnvoller, erst auf diese zurückzugreifen. Mit ihrer Vielfalt und stärkeren Virtuosität bietet die orchestrierte Version zwar eine abwechslungsreiche Alternative zur Klaviersuite, auf diese kann und sollte aber zu Gunsten jener aus pragmatischen Gründen oft verzichtet werden, da die Orchesterstimme sich nicht für Klavier eignet. Dem Orchester kommt eine sekundäre Rolle zu, Intermezzi dauern nie länger als 15 Takte, im ersten Satz begleitet das Orchester nur mit sehr dünner Achtelgrundierung.
Auf das Prelude folgen eine spanisch anmutende und melodiöse Serenade, eine recht konventionelle Allegro-non-troppo-Gavotte mit geradem Rhythmus, eine schwelgerische und sehr eingängige Romance, die mit
ihrem E-Dur aus der Reihe fällt, und eine fetzige Tarantelle im Presto.
Der cellistische Anspruch der drei Mittelsätze ist gut schaffbar, die Randsätze fordern heraus. Über Fingersätze braucht man sich dabei vermeintlich keine Gedanken zu machen, die sind mehr als ausreichend vorhanden. Dieser gut gemeinte Überfluss hemmt die individuelle Auseinandersetzung mit dem Stück und irritiert, da manche Vorschläge der Herausgeberin mal unnütz, da offensichtlich, und mal unpassend sind. Die Liebe zur Spielanweisung geht sogar so weit, dass Legatobögen und Strichanweisungen sich überschneiden.
Es scheint so, als ob der Erfolg der Suite, der Saint-Saëns zum Durchbruch verhalf, mehr auf der Mischung aus Unbeschwertheit, guter Spielbarkeit und kompositorischer Raffinesse denn auf künstlerischer Innova-
tion beruht. Kein Muss also neben Saint-Saëns’ berühmten Cellokonzerten und -sonaten, aber ein gut komponiertes Stück, das dank der Liebe des Komponisten zum Cello schön zu spielen ist.
Vera Salm