Werke von Johann Martin Blochwitz, Georg Philipp Telemann, Carl Philipp Emanuel Bach und Johann Sebastian Bach

Suite imaginaire

Baroque Works for Solo Flute, Anna Garzuly-Wahlgren (Flöte)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin
erschienen in: das Orchester 12/2018 , Seite 77

Die Auswahl an Kompositionen für Soloflöte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist gut überschaubar, und so sind auch hier Johann Sebastians Partita, Carl Philipp Emanuels Sonate und Telemanns Fantasien mit im Spiel. Neu in diesem Zusammenhang ist nur der Name Johann Martin Blochwitz, der wie sein berühmterer Kollege Pierre-Gabriel Buffardin Mitglied der Dresdener Hofkapelle war und ebenso wie dieser Einfluss auf die virtuose Ausgestaltung von Bachs Flötenpartien gehabt haben könnte. Das Booklet berichtet diesbezüglich von neuen, aber noch unveröffentlichten Forschungsergebnissen (Daisuke Morota).
Überliefert von Blochwitz sind ausschließlich Kompositionen für Flöte und Bass, Sechtzig Arien: eingetheilet in funffzehn Suitten und eine Sonate in G-Dur. Die hier gespielten Suitensätze sind dem 1978 bei Amadeus erschienenen Heft Quantz Capricen entnommen, einer Sammlung von Stücken verschiedener und teilweise noch ungeklärter Provenienz. Ausgewählt wurden die Allemande Nr. 45, die Courente Nr. 42, die Sarabande Nr. 43 und die Gigue Nr. 57. Die Courente ist, wie Barthold Kuijken festgestellt hat (Tibia 1/2006), die Bearbeitung eines Satzes aus einer Lautensuite von Sylvius Leopold Weiss, die Flötenfassung selbst ist möglicherweise von Blochwitz.
Als Suite imaginaire bilden die vier in e-Moll stehenden Sätze das Motto der Einspielung, sind doch für die Interpretation von Musik aus dieser Zeit Fantasie bzw. Vorstellungskraft unerlässlich, weil es darum geht, die „Welt jenseits des in Buchstaben oder Notenzeichen Fixierten“ zu finden. Dass nicht zuviel versprochen wird, zeigen die beiden Telemann-Fantasien (2. Fantasie a-Moll und 8. Fantasie e-Moll), die wie gerade erfunden ihrem Namen alle Ehre machen.
Bachs Allemande mit ihrem in durchgehenden Sechzehnteln verlaufenden, ganz vom Tanzcharakter wegführenden harmonischen Geschehen ist immer wieder eine Herausforderung und ein besonderes Beispiel für damals mögliche „Spielräume“. Bewundernswert, wie hier durch Tempowahl und Atembeherrschung aus Klang Form entsteht. In der schon im neuen Stil komponierten Solosonate des Sohnes gehören dann Artikulation, Dynamik und Verzierungen zur Darstellung des Affekts und sind deshalb deutlich mehr im Notentext enthalten.
Anna Garzuly-Wahlgren, Flötistin des Gewandhausorchesters und des renommierten Flöten-Ensembles Quintessenz, spielt ihr Programm auf einer modernen Flöte aus Holz aus der Werkstatt Powell. Durch musikalisch und technisch deutliches, im schönsten Sinn gesangliches Spiel von brillanter und doch leicht wirkender Virtuosität gelingt es ihr, die Klangvorstellungen der Barockzeit umzusetzen ohne aufführungspraktische Erkenntnisse zu vernachlässigen. Auch bei wiederholtem Zuhören scheint die Zeit wie im Flug zu vergehen – ein überzeugender Beweis dafür, dass man den Anforderungen dieser Musik mit heutigen instrumentalen Möglichkeiten geradezu vorbildlich gerecht werden kann.
Ursula Pešek