Thomas Daniel Schlee

Suite für Violine und Klavier op. 82

Partitur und Stimme

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter
erschienen in: das Orchester 07-08/2021 , Seite 66

Titel, so der Komponist Thomas Daniel Schlee (*1957) in einem Interview zu seinem 60. Geburtstag, seien „poetische Pforten, durch die man in einen spezifischen Raum eintritt“, wobei die Wahl eines bloßen Genretitels darüber hinaus ganz speziell „zur Auseinander-
setzung mit Meisterwerken“ verpflichte.
Eine solche Auseinandersetzung bietet die fünfsätzige Suite op. 82,
in deren einzelnen Teilen sich Schlee zwar auf gängige satztechnische Vorbilder für dieses über Jahrhunderte hinweg gewachsene Genre bezieht, sie aber zugleich auch gegen den Strich bürstet, indem er die Ausführenden mit ungewöhnlichen Situationen konfrontiert und ihnen von Beginn an ein über die Musik hinausgehendes Aktionsspektrum vorschreibt.
Dass die ersten beiden Sätze neben den kontrastierenden Tempoangaben keine weiteren Bezeichnungen aufweisen, hängt mit ihrem quasi-präludierenden Charakter und der getrennten Präsentation beider Instrumente zusammen: Während die Violine noch „hinter der Bühne“ steht, entfaltet sich „Dolce espressivo, ma semplice“
im Klavierpart ein lyrischer Gesang, in den das Streichinstrument gegen Ende einfällt, um sich dann während eines ganz anders gearteten, aber gleichfalls solistischen „Vivo declamato“-Abschnitts „langsam zum Bühnenplatz“ zu begeben. Dort angekommen, treffen die Partner dann auch musikalisch in der an dritter Stelle stehenden Passacaglia zusammen, deren Titel Schlee sehr wörtlich nimmt: als Zusammentreffen zweier Individuen, die „einander auf der Straße“ begegnen und sich vorübergehend zum gemeinsamen Spaziergang vereinigen, dann aber auch wieder auseinanderdriften – nur um anschließend in einem Rondo unter Benutzung von vier Themen (in unterschiedlichen Taktarten) einander tänzerisch zu umkreisen.
Die halsbrecherische Fuga schließlich führt diesen Reigen attacca fort und ist im wahrsten Sinne des Wortes als dahineilende „Flucht“ konzipiert, die sich im Prestissimo von triolischen Achteln zu Sechzehnteln beschleunigt – und am Ende in auseinanderklaffenden Registerlagen abrupt abreißt, weil Griffbrett und Tastatur nun einmal räumliche Begrenzungen darstellen.
Schlees handwerklich souveräne und humorvolle Auseinandersetzung mit den Satztypen einer Suite verlangt den Ausführenden erhebliches spieltechnisches Können ab und fordert sie darüber
hinaus noch durch die einkomponierte Theatralik. Allerdings überschreitet er nie den Rahmen zu experimentellen Spieltechniken. Im Gegenteil: Da der Komponist seine moderne Tonsprache immer an ein dem Espressivo verpflichtetes gestisches Repertoire zurückbindet – der deklamierender Duktus im zweiten Satz und kantable Bögen im Eröffnungsteil sind hierfür ebenso schöne Beispiele wie die Themen des Rondosatzes –, bleibt der Zusammenhang mit der Tradition, die Auseinandersetzung mit dem, auf was Schlee als Komponist aufbaut, immer wahrnehmbar. Und gerade darin liegt der Reiz dieses lohnenswerten Duos.
Stefan Drees