Samuel Coleridge-Taylor

Suite de Pièces

op. 3 for violin and piano, Partitur und Stimme

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, London
erschienen in: das Orchester 06/2021 , Seite 65

Ohne den Komponistennamen zu kennen, würde man die vier hier vorgelegten kurzen Charakterstücke für Violine und Klavierbegleitung vermutlich einem spätromantischen Komponisten aus dem Zentrum Europas, vielleicht aus Wien oder mit Bezug zu Leipzig, zuordnen. Nichts an dieser handwerklich solide gearbeiteten, weder übermäßig virtuos noch ambitioniert daherkommenden kleinen Suite ließe auf ein Wunderkind oder gar einen Komponisten schließen, der sich in seinem kurzen späteren Leben so konsequent der Idee einer Art afroamerikanisch geprägten klassischen Musik widmete.
Samuel Coleridge-Taylors Name ist heute kaum mehr geläufig, gespielt wird er so gut wie gar nicht. Es sind eine Reihe von CDs mit Orchesterwerken und vor allem Einspielungen seiner Hiawatha-Kantate verfügbar – doch so präsent wie zu Lebzeiten zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist der in London geborene Komponist bei Weitem nicht mehr. Seinerzeit wurde er bei den Londoner Proms häufig gespielt, und bereits im Alter von 17 Jahren hatte Coleridge-Taylor offenbar keine Schwierigkeiten, für das vorliegende Werk Schott als Verlag zu gewinnen.
Auf der Erstausgabe von 1892, die erstaunlicherweise statt des Klaviers auch die Besetzung mit begleitender Orgel vorschlägt, beruht die jetzige Neuauflage der Suite de Pièces op. 3. Die vier mit zeittypischen Titeln versehenen Sätze haben eine Spieldauer von je rund zwei Minuten und verlangen zwar vielleicht nicht nach einem überragenden Violinvirtuosen, doch muss eine umfassende technische Beherrschung des Soloinstruments sowie des Klaviers vorausgesetzt werden. Anders dürften die fein ziselierten Läufe der eröffnenden Pastorale, die duftige Leichtigkeit der weit in den Geigen-Diskant vordringenden Cavatina, die beschwingte Heiterkeit der Barcarolle und die konturiert erzählende Final-Contemplation nicht adäquat darzustellen sein.
In allen vier Charakterstücken bewegt sich die Violine frei und hin zu hohen Lagen strebend und dominiert mit leichter Tongebung. Dabei müssen gesangliche Abschnitte nahtlos an schwerelose Instrumentalpirouetten angeschlossen und Solo und Begleitung aufmerksam austariert werden. So schadet es dann vielleicht also doch nicht, diese vier funkelnden kleinen Tondichtungen einem ausgewachsenen Virtuosenduo anzuvertrauen und darauf zu hoffen, dass ein klein wenig Understatement bei diesem britischen Komponisten genau die richtige Wirkung erzielt.
Daniel Knödler