Johann Sebastian Bach

Suite & Concertos

Il Gusto Barocco, Ltg. Jörg Halubek

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Berlin Classics
erschienen in: das Orchester 11/2022 , Seite 69

Die Jahre, in denen man sich fragte, wie Bach wohl auf die Neuerungen unseres Zeitalters reagiert hätte, sind längst vorbei. Aber lange war es in der Musikpraxis üblich, vertraute Gewohnheiten damit zu rechtfertigen, dass Bach vermutlich „modern“ eingestellt gewesen wäre, hätte er nur heutige Instrumente zur Verfügung gehabt. Das aber waren schon immer zu viele Vermutungen, die niemand verlässlich auflösen konnte.
Aber freilich gibt es auch nach Jahrzehnten historischer Forschungen zur musikalischen Aufführungspraxis immer noch offene Fragen und damit auch verschiedene Lösungsvorschläge. Denn die Kernfrage, wie es wohl geklungen haben mag, als Bach selbst musizierte, ist genauso unlösbar wie sie ein Stachel im Fleisch jener bleiben wird, die solche Fragen überhaupt interessieren. Bachs Solokonzerte sind dabei ein beliebtes Experimentierfeld. Gerade hier, jenseits der formal strengeren Kirchenmusik, begegnet man dem Musiker Bach hautnah, ja fast privat. Der Stuttgarter Cembalist, Organist, Dirigent und Ensemblegründer Jörg Halubek will diese Intimität wieder herstellen, sagt er im Booklet zur neuen CD von Il Gusto Barocco. Daher besetzt er das „Orchester“ bei dieser Musik, die für das häusliche Musizieren geschrieben wurde, durchweg solistisch.
Halubek, in Stuttgart und an der Basler Schola Cantorum ausgebildet, weiß genau, was er will: Vor allem will er sich als Musiker, dem die historisch informierte Spielweise in Fleisch und Blut übergegangen ist, nicht einengen lassen. Auch nicht durch Regeln einer Forschung (mit der er absolut vertraut ist), die letztlich nur eine Annäherung ermöglicht, aber kaum je Gewissheit gibt. Etwa bei Verzierungen, die Bach im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen oft notierte, oder zur Phrasierung, die eher selten vom Komponisten vorgegeben wird.
Halubek und die Musiker:innen von Il Gusto Barocco, die alle durch die harte Schule des Basler Instituts für Alte Musik gingen, bewegen sich daher äußerst frei durch die Partituren dieser virtuosen Werke, und jeder Einzelne weiß dabei mit höchst individuell ausgeformten Soli zu punkten. Die auf dieser CD versammelten Konzerte für eine oder zwei Violinen (a-Moll und ­d-Moll) sowie ein oder zwei Cembali (D-Dur und c-Moll) erreichen durch diese grundsätzliche Haltung eine Form von musikalischer Freiheit in den schnellen und eine Intensität des Ausdrucks in den langsamen Sätzen, die man selten erlebt.
Quasi moderiert werden die Werke dabei durch die Solo-Suite für Cello C-Dur, die wie bei den Bildern einer Ausstellung satzweise von einem Stück zum anderen führt: Jonathan Pešek zeigt hier schon die ganze Klasse „moderner“ historischer Bach-Interpretation. Weitere Solist:innen sind Leila Schayegh und Anaïs Chen (Violinen) sowie Alexander Gergelyfi (Cembalo).
Matthias Roth