Marcus, Bunita

Sugar Cubes

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Testklang, CD und DVD
erschienen in: das Orchester 03/2013 , Seite 77

Nichts ist schwieriger als das Einfache. Bunita Marcus weiß das. Sie hat das schmerzhaft erfahren in einer tiefgreifenden künstlerischen Krise, als sie kaum noch imstande war, eine Note auf das Papier zu bringen, als ihr die Leichtigkeit im Umgang mit ihrer postminimalistisch geprägten Einfachheit für immer entglitten schien. In dieser Not bat sie John Cage um Rat, ganz im Vertrauen auf dessen spielerisch geprägte Weisheit. Cage riet ihr, sie solle ihren inneren Komponisten mit Zucker verwöhnen und die Dinge so einfach wie irgend möglich nehmen. Bunita Marcus setzte den freundschaftlichen Rat so poetisch wie pragmatisch um. Sie stellte eine Schachtel mit Zuckerwürfeln auf ihren Flügel und begann mit den Tönen C-A-G-E zu experimentieren. Es sollte die Wiedergeburt der Komponistin Bunita Marcus werden. Dem Stück, das diese Heilung dokumentiert, gab sie denn auch den sprachmalerischen Namen Sugar Cubes.
Jetzt ist diese Komposition aus dem Jahr 1996 zur zart klingenden Initiale der vorliegenden CD geworden, die fünf Weltersteinspielungen von Kammermusik- und Solowerken von Bunita Marcus umfasst. Darüber hinaus – und dies war der ehemaligen Studentin von Morton Feldman ein Herzensanliegen – ist auf dieser CD ihr 1981 komponiertes und 1983 von Feldman orchestriertes, aber bisher unveröffentlicht gebliebenes Stück Merry Christmas Mrs. Whiting enthalten. Das Notenmaterial aus ihrer Privatsammlung stellte Bunita Marcus dem Label Testklang für die Aufnahme mit dem Ensemble Adapter zur Verfügung. Produziert wurde in der Berliner Andreaskirche in enger Zusammenarbeit mit der Komponistin.
Ein Glücksfall, wie diesen Interpretationen anzuhören ist. Sie klingen inspiriert, angefüllt von intensiver Zartheit und bedingungsloser Hingabe an die räumlichen Dimensionen, die Bunita Marcus jedem Ton dieser Kompositionen eingeschrieben hat. Diese Interpretationen klingen überdies so gut, weil die Musiker von Ensemble Adapter der Akustik des sakralen Raums Rechnung tragen, höchst sorgsam die Tongewichte wägend. Der Pianist Marc Tritschler vor allem gibt der Musik von Bunita Marcus mit seinem fein differenzierten Tonspektrum exakt so viel Morton-Feldman-Anmutung wie nötig und zugleich so wenig wie möglich, um nicht zu überzeichnen.
Beigefügt ist diesen Tondokumenten, die einen langen klingenden Augenblick festhalten und also zugleich die Flüchtigkeit der Zeit in der Zeit dokumentieren, eine DVD. Sie beinhaltet einen Film von Aron Kitzig zu Bunita Marcus’ Komposition Sleeping Women – Bilder sind das, sepiagetönt, die Zeit so gegenwärtig wie vergänglich scheinen lassend, Abbild von Bunita Marcus’ Idee von Zeit. Und also Abbild eines Zeitbegriffs, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in eins setzt. Darüber hinaus auf der DVD: drei Diskussionen mit dem künstlerischen Team von Testklang. Das Booklet ergänzt CD und DVD mit einem Interview, in dem Lars Dreiucker die Komponistin über ihr ästhetisches Selbstverständnis so konzentriert wie künstlerisch sensibel befragt.

Annette Eckerle