Dmitri Shostakovich

String Quartets – Volume 3 No. 2, 4 und 6/Klavierquintett op. 57

Quartetto Noûs

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Brilliant
erschienen in: das Orchester 2/2025 , Seite 75

Die 15 zwischen 1938 und 1974 komponierten Streichquartette von Dmitri Schostakowitsch (1906–1975) sind einer der wichtigsten Gattungsbeiträge des 20. Jahrhunderts. Ähnlich wie seine ebenfalls 15 Sinfonien „erzählen“ auch die Quartette die Geschichte dieses kriegerischen Jahrhunderts mit den Mitteln der „reinen“ Musik – dies aus der Perspektive eines Sowjetbürgers, der unter dem Terror-Regime zu leiden hatte, aber auch von ihm gefeiert wurde. Das „Biografische“ ist für Schostakowitschs Œuvre, insbesondere für seine Quartette und Sinfonien, genauso konstitutiv wie das „Universelle“, der Anspruch auf Welthaltigkeit und Objektivität. Das verbindet ihn mit dem von ihm verehrten Gustav Mahler, dessen Sinfonien ebenfalls das persönliche Psychogramm zum Seismografen kommender kollektiver Katastrophen werden lässt.
Der in 15 „Kapitel“ unterteilte „Lebens-Roman“ von Schostakowitschs Quartetten ist seit seinen Anfängen mit dem legendären Beethoven Quartett schon oft „erzählt“ und integral auf Tonträger gebannt worden, genannt seien hier nur die Gesamteinspielungen mit dem Rubio-, Brodsky- oder Mandelring-Quartett und – ganz aktuell – mit dem Quatuor Danel, die als neue Referenzaufnahme gefeiert wird. 2021 hat das Label Brilliant damit begonnen, eine eigene „Totale“ einzuspielen und für dieses Großprojekt das italienische Quartetto Noûs (Ekaterina Valiulina und Alberto Franchin, Violine; Sara Dambruoso, Viola; Riccardo Baldizzi, Cello) engagiert. Auf dem jetzt erschienenen Volume 3 erklingt neben den Quartetten Nr. 2, 4 und 6 auch das Klavierquintett in g-Moll aus dem Jahr 1940.
An das hohe Niveau der beiden Vorgänger-Alben schließt das neue Volume locker an. Und auch was den „Spirit“ betrifft, ist das Ensemble sich treu geblieben. Die Musiker:innen meiden die Extreme und alles Plakative, liefern dabei aber trotzdem (oder gerade deshalb) tief lotende Lesarten aus dem Geist der absoluten Kammermusik. Wer den „ironischen“ und „sarkastischen“ Schostakowitsch sucht, wird bei anderen Ensembles sicher fündiger. Pointiert und im Hinblick auf die Tradition und Herkunft der vier Musiker:innen formuliert könnte man sagen, dass wir es hier mit einem Schostakowitsch aus dem Geiste des Belcanto-Spiels zu tun haben. Selbst in den grellsten Momenten, z. B. im „Scherzo. Allegretto“ des Klavierquintetts, bleibt die Musik kantabel und moderat, ohne dabei an inhaltlicher Schärfe und Prägnanz der Aussage zu verlieren.
Am eindringlichsten gelingt dem Quartetto Noûs für meinen Geschmack die Deutung des klassisch-viersätzigen Streichquartetts Nr. 4 aus dem Jahr 1949. Die Empathie und Wärme, mit der das Ensemble die vielen jüdischen Melodien dieses Werks spielt und dahinter ihre Traurigkeit und Melancholie aufscheinen lässt, ist zutiefst berührend. Auf das Volume 4 darf man sich freuen.
Burkhard Schäfer