Silvia Colasanti
String Quartets
Quartetto Noûs
Dass das Schaffen der italienischen Komponistin Silvia Colasanti (*1975) hierzulande kaum bekannt ist, mag daran liegen, dass sich bislang schlichtweg keine Musikerinnen und Musiker gefunden haben, die sich dafür einsetzen. Wie schade das ist, macht das 2011 gegründete Quartetto Noûs deutlich, das sich mit dieser Produktion als ausgezeichneter Anwalt von Colasantis Musik erweist. Vier Werke für Streichquartette aus den Jahren 2011 bis 2018 hat das Ensemble eingespielt und ermöglicht damit Einblicke in die hohe Qualität dieser ebenso feinen wie klangsinnlichen Kompositionen.
Colasanti schreibt – allgemein gesprochen – eine Musik, deren Verlauf von der Annäherung an unterschiedliche Atmosphären bestimmt ist. Es sind vorwiegend zarte und leise Klänge von hohem Intensitätsgrad, in dem sich auch ein gewisser Hang zum Theatralischen, eine Vorliebe für lyrische Situationen, bemerkbar macht: Vokale Gesten und Ansätze zum instrumentalen Gesang drängen immer wieder hervor und sorgen, unterbrochen von differenziert und unter Verwendung unterschiedlicher Geräuschanteile gearbeiteter Klangflächen, für eine Art „Klangtheater“, in dem die Quartettmitglieder wie vier Charaktere mit- und gegeneinander antreten. Es ist, als erzähle die Musik Geschichten, die aber ohne konkretes Sujet bleiben.
Immerhin wird in Di tumulti e d’ombre (2011) durch den Untertitel „Studio per Faust“ eine Verbindung zu Colasantis im selben Jahr entstandener „Tragedia soggettiva in musica“ auf ein Gedicht von Fernando Pessoa hergestellt: Stärker als in den übrigen Werken ist dieses Stück von unruhigen Quartett-Texturen und schattenhaft durch die Streicher wandernden Klangsituationen durchzogen, aus denen mit Halteklängen, Tremoli oder melodischen Phrasen gleichwohl Momente voller Ruhe aufscheinen.
Auch in Due destini (2017) lässt sich im Wechselspiel der Texturen ein narrativer Faden ausmachen, weil sie zwei Gruppen musikalischer Kontexte – einem Miteinander aus unterschiedlich stark aufgerauten Konfigurationen und einem Bestand aus tonalen, sich immer wieder aus wie aus der Ferne in diese Kontexte hineinschiebenden Fragmente – zugeordnet werden können und damit die im Titel benannten Schicksale repräsentieren.
Wie stark Colasantis Hang zur Verwendung melodischer Elemente ist, macht die Aria (2018) deutlich: Sie hebt mit tuschartigen Akkorden und Tremoli an, aus denen sich ein stiller Gesang heraus-schält, zunächst nur zögernd, dann immer stärker den Satz dominierend und auf dem Höhepunkt in klarem Dreiermetrum den Duktus opernhafter Selbstverständlichkeit einschlagend.
Die drei Sätze der Tre notti (2016) schließlich kreisen um unterschiedlich gezeichnete Notturno-Atmosphären, die jeweils unter Einsatz ähnlicher kompositorischer Mittel etabliert werden: ein wechselhaftes Spiel mit ineinanderfließenden Satzstrukturen, dessen Ursprünge in diesem Fall in Colasantis Musik zu Patrizia Cavallis Schauspiel Tre risvegli liegen.
Stefan Drees