Arnold Schönberg
String Quartets 1 & 3
Gringolts Quartet
Arnold Schönbergs Selbsteinschätzung, ein „Konservativer“ zu sein, „den man gezwungen hat, ein Radikaler zu werden“, mag nicht frei von Koketterie gewesen sein. Hört man indes nacheinander zwei seiner Werke, die scheinbar konträren Schaffensphasen entstammen – der spätromantischen einerseits, der zwölftönigen andererseits –, so wird deutlich, wie stringent die Entwicklung dieses „radikalen“ Musikers verlief. Konservativ war Schönberg in seiner intensiven Beschäftigung mit der Tradition, namentlich mit der Musik Bachs, Mozarts, Beethovens, Brahms’ und Wagners. Radikal hingegen seine Konsequenzen: Nicht konventionelle Schönheits-Kategorien sollten auf dem Rücken der Klassiker bedient werden. Vielmehr strebte er an, strukturelle Errungenschaften der Musik des 18. und 19. Jahrhunderts weiterleben zu lassen in einer Musik, deren Klanglichkeit und Expressivität zu neuen Dimensionen vordringt.
Wir dürfen dem exzellenten Gringolts Quartet dankbar sein, dass seine Aufnahmeserie der vier Schönberg-Quartette keinen Trennstrich zieht zwischen den beiden frühen Quartetten (1905/1908) einerseits und den Quartetten Nr. 3 und 4 (1927/1936) andererseits. Dass Schönbergs Komponieren ein Kontinuum darstellt, macht die vorliegende Aufnahme der Quartette Nr. 1 und 3 (gleiches gilt für die bereits vorliegende CD mit den Quartetten 2 und 4) überzeugend hörbar. Das kolossale erste Quartett – ein durchkomponierter Satz von fast fünfzig Minuten Spieldauer, dem freilich die klassische Viersätzigkeit innewohnt – tradiert Prinzipien, die auf Beethoven, Schumann, Liszt, gar auf Richard Strauss’sche Programmmusik verweisen, und zeigt zugleich in seinem Innenleben ein neues Konstruktionsdenken. Das hochkomplexe, zwölftönige dritte Quartett hingegen besticht durch seine Mischung aus lyrischer Kantabilität und geradezu übermütiger Tanzaffinität. Trockene Kopfmusik ist dies nicht!
Ilya Gringolts und seine Kolleg:innen Anahit Kurtikyan (2. Violine), Silvia Simionescu (Viola) und Claudius Hermann (Cello) – alle vier bekleiden Stimmführer- und Hochschulpositionen in Zürich und Basel und haben sich 2009 zum Quartett zusammengefunden – machen das Spektrum der Schönberg’schen Musik grandios hörbar. Ihr Spiel zeichnet sich gleichermaßen durch Wärme, vollen „romantischen“ Klang wie durch Transparenz und perfekte Balance der Stimmen aus. Die großen Gesten des
d-Moll-Quartetts erblühen im Geiste Brahms’ und der Spätromantik, zugleich hören wir fasziniert den Reichtum kontrapunktierender Gegenstimmen, die sich um die „Melodien“ herum ranken. Wie viel Ausgelassenheit – kontrastiert von heftigen dramatischen Akzenten – weite Teile des dritten Quartetts prägen, teilt sich im vitalen Vortrag des Gringolts Quartets ebenfalls mit.
Diese Produktion ist ein überzeugendes Plädoyer, einen oft missverstandenen Komponisten neu zu entdecken. Tonalität, Atonalität? … Schubladen, die uns das Ohr für seine Genialität verstellen. Genießen wir seine Musik, großartig gespielt vom Gringolts Quartet!
Gerhard Anders