Olli Mustonen

String Quartet No. 1

Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott
erschienen in: das Orchester 04/2019 , Seite 67

Die journalistischen Klischees, die über den finnischen Pianisten, Dirigenten und Komponisten Olli Mustonen (*1967) verbreitetet werden, sind ebenso vielgestaltig wie banal: Da wird behauptet, in Mus­tonens Schaffen ließe sich „eine frische, in der Klanglichkeit seiner Heimat verwurzelte Tonsprache“ vernehmen und seine Musik künde „von einer neuen Spiritualität des 21. Jahrhunderts“, zumal er als Komponist ja eine „musikalische Naturgewalt“ sei. All dies lässt sich trefflich, dem Geniebild früherer Zeiten eingepasst, in Programmheften unterbringen, sagt aber nicht wirklich etwas über die Musik aus.
Schon eher kommt man dagegen mit der Feststellung weiter, dass sich das vorliegende Streichquartett Nr. 1 (2016), im Sommer 2017 durch das Engegård Quartett uraufgeführt, mit seinen vier quasi attacca aufeinander folgenden Sätzen auf die Spuren der klassisch-romantischen Tradition begibt: An erster Stelle steht ein im Ausdruck stark schwankender Satz, dessen „Impetuoso, con passione e molto rubato“-Eröffnungsabschnitt in ein von den übrigen Streichern durch Haltetöne spärlich begleitetes „Quasi una cadenza“ der Viola mündet, gefolgt von weiteren Umschwüngen, aus denen zweimal ein flächig ausgebreitetes, im dritten Satz erneut auftauchendes „Misterioso“ hervorragt.
An zweiter Stelle steht ein scherzoartiges, rhythmisch prägnantes „Furioso e pesante“, dem sich als maximaler Kontrast ein über weite Strecken hin ruhig pulsierender „Grave“-Satz anschließt. Den Abschluss bildet dann ein „Con fuoco all’Ungherese“-Finale, dessen ausgedehnte Einleitung wiederum auf den Beginn des Kopfsatzes verweist.
Nicht nur die Viersätzigkeit, sondern auch die Verknüpfung der Sätze durch musikalische Rückbezüge sowie die Verwendung von motivisch thematischer Arbeit und durchbrochenem Stil weisen Mustonen als einen traditionsbewussten Komponisten aus, der seine Musik zudem mit patternartigen Gestaltungsprinzipien aus der Minimal Music anreichert. Insgesamt entsteht dabei allerdings ein stilistisch uneinheitlicher Eindruck, der zusätzlich durch einen simplen, angesichts vieler Sequenzen auch etwas hilflos wirkenden Umgang mit den zugrundeliegenden harmonischen Prinzipien verstärkt wirkt.
Dass das Stück trotz seiner wenig herausfordernden, im Hinblick auf spieltechnische Komplexität weit hinter Repertoirewerken von Béla Bartók oder Pēteris Vasks zurückfallenden Machart dennoch für ein Ensemble gewisse Reize bergen mag, liegt an den Möglichkeiten zur klanglichen Gestaltung, die sich über die relativ spärlich gesetzten Vortragsanweisungen hinaus insbesondere im Kopfsatz und im „Gra­ve“ bieten.
Das sorgfältig gefertigte Stimmenmaterial der Ausgabe begünstigt eine entsprechende Auseinandersetzung mit der Musik und besticht durch ein übersichtliches Schriftbild, dessen behutsame Anreicherung mit Stichnoten sich für die Spielpraxis als sinnvoll erweist.
Stefan Drees