Miklós Rózsa / Bernard Herrmann

String Quartet No. 1 / String Trio op. 1 und Echoes for String Quartet

Ensemble Merian

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Brilliant Classics
erschienen in: das Orchester 12/2021 , Seite 80

Mit der romantischen Geste einer solistischen Melodielinie im Violoncello beginnt das Streichquartett Nr. 1 op. 22 von Miklós Rózsa (1907-1995). Gänzlich aus der Zeit gefallen wirkt das 1950 komponierte Werk des ungarischen Komponisten: Kontrapunkt, Einflüsse aus der Volksmusik, wie sie ganz ähnlich auch bei Béla Bartók zu finden sind, und das gelegentlich (etwa im Scherzo in modo ongarese) durch harmonische und klangliche Schärfen bereicherte Festhalten an der Tonalität prägen seine Schöpfung vom ersten Ton an.
Dass diese Musik bis heute so selten erklingt, liegt daran, dass Rózsa seine wichtigsten Erfolge im Sektor der Filmmusik zu verzeichnen hatte: Während seine Partituren zu Klassikern wie Alfred Hitchcocks Spellbound (1945), Mervyn LeRoys Quo vadis? (1951) oder William Wylers Ben Hur (1959) Geschichte schrieben, steht sein Schaffen für den Konzertsaal nach wie vor im Schatten. Dies ist in höchstem Maße bedauerlich, wie diese Produktion belegt, für die eigens das Ensemble Merian aus erfahrenen Mitgliedern der beiden Frankfurter Sinfonieorchester ins Leben gerufen wurde.
Das hohe Niveau der klaren, klanglich hervorragend ausbalancierten, vor allem dem expressiven Gehalt der Musik nachspürenden Wiedergabe wird durch den Entschluss unterstrichen, bei zwei der drei eingespielten Werke die einzelnen Sätze als komplette Takes ohne Schnitte aufzunehmen. Dies trägt auch im Fall von Rózsas 1927 komponiertem Streichtrio op. 1 zur Vermittlung von Spannungsaufbauten bei. Das Trio erklingt in seiner ursprünglichen, ungekürzten Fassung und legt dadurch seine Verwurzelung in der deutschen Spätromantik offen.
Ergänzt werden diese beiden Stücke durch die großformatige Komposition Echoes (1965) von Bernard Herrmann (1911-1975). Wie ungerechtfertigt es ist, dass auch Herrmanns Konzertwerke bislang kaum zur Kenntnis genommen werden, während insbesondere seine Partituren zu Hitchcocks Filmen – beispielsweise Vertigo (1958), North by Northwest (1959) oder Psycho (1960) – mittlerweile Eingang in die Popkultur gefunden haben, macht dieses einsätzige Streichquartett so recht deutlich: Die zehn musikalisch klar identifizierbaren Abschnitte wirken – und hier ist der Name des Werks Programm – wie Echokammern, in denen der Komponist bestimmte stilistische Eigenarten seiner vorangegangenen Filmmusikpartituren widerhallen lässt. Vor dem Hintergrund einer im musikalischen Verlauf immer wieder auftauchenden, im Einleitungsabschnitt erstmals präsentierten „idée fixe“ entwirft Herrmann ein abwechslungs- und assoziationsreiches musikalisches Panorama.
Dass das Werk einen wichtigen biografischen Einschnitt markiert – es entstand nach dem abrupten Ende der Zusammenarbeit mit Hitchcock – verleiht ihm einen besonderen Reiz, lässt der selbstreflexive Rückblick auf das eigene Schaffen doch auch die tastende Erkundung neuer Möglichkeiten erkennen.