Mendelssohn Bartholdy, Felix

Streichquintette op. 18 und 87

hg. von Ernst Herttrich

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Henle, München 2011
erschienen in: das Orchester 09/2012 , Seite 72

Mendelssohns beide einzige Streichquintette sind nun in einer hochwertigen, lediglich aus Stimmenmaterial bestehenden wissenschaftlichen Ausgabe vereinigt: sein op. 18 A-Dur, das er im Frühjahr 1826 begann, und sein „Alterswerk“ op. 87 in B-Dur, welches er 1845 – wie auch das frühere scheinbar ohne äußeren Anlass – komponierte, als er auf dem Höhepunkt seines Schaffens war. Für die – wie bei Henle gewohnt – druck- und spieltechnisch wie ästhetisch sehr gut aufbereitete und vorbildliche Edition zeichnet der Musikwissenschaftler und Herausgeber Ernst Herttrich verantwortlich, der u.a. bereits 2010 die Klavierwerke Robert Schumanns herausgegeben hat.
Doch nicht nur die beiden im öffentlichen Bewusstsein leider nicht sehr bekannt gewordenen Streichquintette sind in der neuen Ausgabe enthalten, sondern auch der ursprüngliche 3. Satz, ein Minuetto im „Allegro molto“, den Mendelssohn 1832 durch ein mit „Intermezzo“ übertiteltes „Andante sostenuto“ ersetzte und dieses an die zweite Stelle vorrückte.
Er wollte das Intermezzo als musikalischen Nachruf für den verstorbenen Freund Eduard Rietz verstanden wissen, dessen Ableben Mendelssohn damals erschütterte. Das ausgewechselte Minuetto ist erst 1978 in dem Buch Mendelssohn, der Komponist von Friedhelm Krummacher veröffentlicht worden. Nun steht es nach 185 Jahren seiner Entstehung endlich der Musikwelt als spielbarer Einzelsatz zur Verfügung.
Während das Opus 18 noch zu Mendelssohns Lebzeiten im Jahr 1833 erschienen ist, gestaltete sich die Sachlage bei seinem letzten, posthum erschienenen Streichquintett op. 87 nur auf den ersten Blick einfacher: Men­delssohn war offensichtlich mit dem letzten Satz nicht zufrieden, hatte aber nur noch wenig Gelegenheit, für einen eventuellen Druck Änderungen vorzunehmen. Nach dem Tod gab Julius Rietz – der Bruder des 1832 Verstorbenen – u.a. dieses Werk heraus, an welchem er unautorisierte Änderungen vorgenommen hatte. Diese bislang gespielte Version der Erstausgabe weicht allerdings stark von den handschriftlichen Quellen ab. Für die vorliegende Ausgabe standen dem Herausgeber glücklicherweise „Kopien des Autographs aus der Krakauer Bibliotheka Jagiellon?ska zur Verfügung, anhand derer alle Verfälschungen der postumen Erstausgabe beseitigt wurden“. Und so sind im zweiten Anhang dieser Ausgabe ferner die offenbar verworfenen, „aber nicht gestrichenen Varianten“ des Finalsatzes abgedruckt.
Die erste Violinstimme enthält das dreisprachige Vorwort, das die komplizierte und wechselvolle Genese insbesondere des Jugend-Streichquintetts zum einen bespricht, zum anderen zählt ein Kritischer Bericht weitere Informationen mit zweisprachig gedruckten Bemerkungen auf: Auf fast zwanzig Seiten sind Quellenlage, Editionserläuterungen und zahlreiche umfassende Einzelanmerkungen notiert. Bereits im Notentext selbst wird auf einzelne zum Teil abweichende Lesarten und entscheidende Kürzungen, wie beispielsweise auf den Alternativschluss des Intermezzos, verwiesen.
Werner Bodendorff