Beethoven, Ludwig van

Streichquartette op. 59 & 74

CDs

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Thorofon CTH2611/2, 2
erschienen in: das Orchester 05/2014 , Seite 78

Die drei Quartette op. 59 des Bonner Musik-„Giganten“ gelten als Gipfel der kammermusikalischen Kompositionstechnik überhaupt. Sie entstanden 1806. Mit ihnen entfernte sich Ludwig van Beethoven endgültig von der Freundlichkeit und den Konzepten Haydns oder Mozarts in diesem Genre. Immerhin hatte sich der Komponist schon weit in seinem Schaffen und in seinem Verständnis, was Musik bedeuten muss, vorgearbeitet. Die Eroica und Fidelio beispielsweise lagen schon hinter ihm. Alle vier Instrumentalisten sind in diesen Quartetten gleichberechtigt, es findet ein dialogischer, kommunikativer, oft dramatischer Austausch auf Augenhöhe statt. Die technischen Anforderungen sind enorm hoch. Dass Beethoven Laien bei der Interpretation dieser Werke integrieren wollte – wie seinen Förderer und russischen Gesandten in Wien, Graf Rasumowsky –, kann man aus heutiger Sicht nur bewundernd nur Kenntnis nehmen. Denn alle Quartette verlangen – bis zur dynamischen Feinabstimmung, der Phrasierung und der Homogenität aller Partner – höchste Gestaltungskriterien.
Nr. 1 F-Dur verarbeitet ein russisches Volkslied zum durchlaufenden Thema mit eigenem, melancholischem Charakter. Nr. 2 e-Moll lebt vom Gegensatz zwischen Naivität (der russischen Seele, also greift Beethoven erneut auf russische Wurzeln zurück) und höchster Kunstverarbeitung. Nr. 3 C-Dur wartet vor allem mit einem imponierenden, bahnbrechenden Finale auf: das bis in jeden Ton durchdachte Fugenprinzip als olympischer Wettkampf der Solisten, ein Beweis für Beethovens differenzierte Behandlung von Thema und Durchführung, von Rasanz und Substanz. Interessant der Beginn des Quartetts, wenn sich bei der Eröffnung erst langsam ein verschleiernder Nebel hin zum hell geistigen Lichtimpuls löst. Kammermusik zwischen Klassik und Romantik in Vollendung.
Op. 74 Es-Dur heißt das „Harfenquartett“ (1809). Eine Harfe ist jedoch nicht beteiligt. Der Zusatz nimmt die vielen Pizzicato-Stellen des
Stückes auf, die in der Tat klingen, als wenn eine Harfe beteiligt wäre. Vielleicht hatte Beethoven sie auch vorübergehend im Kopf? Auch in dieser Komposition ist der vierte Satz, Allegretto con variazioni, die zentrale Aussage. Er führt in ein Panorama der Schwingungen und Stimmungen, bei dem fast keine Emotion ausgelassen wird.
Um Konzertmeister Daniel Stabrawa hat sich eine feste Formation gebildet. Das Philharmonia Quartett besteht seit 25 Jahren und garantiert Einspielungen ohne private Eitelkeiten. Alle vier sind Mitglieder der Berliner Philharmoniker. Nur einer ist noch nicht so lange dabei: Cellist Dietmar Schwalke, der den verstorbenen Kollegen Jan Diesselhorst ersetzt.
Die Doppel-CD dieses Ensembles ist bestens dazu geeignet, neue Kammermusik- und neue Beethoven-Freunde zu gewinnen. Denn der magischen, intensiven Klangschönheit dieses Quartetts (und dieser rund 140 Minuten dauernden Quartette) kann sich kaum jemand entziehen.
Jörg Loskill