Mozart, Wolfgang Amadeus

Streichquartette

Amadeus Quartet Recordings Vol. III, Berlin 1950-1957

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Audite 21.427
erschienen in: das Orchester 01/2015 , Seite 80

„Ein Streichquartett ist wie eine Flasche Wein. Die Erste Geige ist das Etikett. Das Cello ist die Flasche. Und die mittleren Stimmen sind der Inhalt, der Wein, sie sind die Qualität“, sagte Siegmund Nissel einmal, Zweiter Geiger des Amadeus Quartets, und er präzisierte: „Die erste Geige muss – Tag für Tag – die schwierigste Stimme spielen.“ Das Cello hält, so Nissel, „das Ganze zusammen, es gibt ihm Form“. Die Mittelstimmen sorgen hingegen für „eine anhaltende große Verlässlichkeit“. Darin sah er „das Schlüsselwort für Qualität“.
Wie die Musikerkollegen Norbert Brainin (Erste Violine), Peter Schidlof (Viola) und Martin Lovett (Cello) auf diesen Vergleich mit der Weinflasche reagierten, ist nicht überliefert. Tatsache ist, dass das Amadeus Quartet, das drei Wiener Emigranten zusammen mit einem britischen Cellisten 1947 in London gründeten, 40 Jahre lang – Auflösung 1987 – zur absoluten Weltelite des Quartettspiels gehörte und Maßstab war für viele Ensembles der 1950er und 1960er Jahre. Maßstab vor allem in klanglicher Hinsicht.
Seine ausgeglichene Gleichrangigkeit der Einzelstimmen war legendär, selbst wenn der Primarius bei Werken von Haydn und Mozart häufig dominierte. Auch die interpretatorische Sichtweise war lange Zeit – bis in die 1970er Jahre hinein – prägend: Es ging den vier Musikern, die über 40 Jahre keine personellen Wechsel im Ensemble vornahmen, zunächst um eine möglichst neutrale, dabei nicht emotionslose, aber doch individuell zurückgenommene Wiedergabe des Notentextes. Vor allem in der direkten Nachkriegszeit war dies durch die Erfahrungen spätromantischer Hybris im Politischen wie Musikalischen ein nachvollziehbarer Neuansatz.
Die dritte Box mit Mozart-Werken, die das Amadeus Quartet zwischen 1950 und 1957 einspielte, zeigt aber auch eine Entwicklung dieses Interpretationsstils anhand der späten Mozart-Quartette und vor allem der Quintette, die das Ensemble zusammen mit Heinrich Geusser (Klarinette) bzw. Cecil Aronowitz (Zweite Viola) 1952/53 vorlegte. Die gesuchte „Objektivität“ – Tempo stets gleich bleibend; klare Phrasierung bei langen Bogenstrichen – der Aufnahmen von 1950 (G-Dur-Quartett KV 387) gewinnt bei vollkommener klanglicher Ausgeglichenheit in den folgenden Jahren rasch individuellere Züge, etwa durch ausgeklügeltere Artikulation und Agogik, wie man schon im Menuett des A-Dur-Quartetts KV 590 (Aufnahme 1951) bemerken kann und was in den Quintetten KV 515, 516 und 593 (alle drei Aufnahmen stammen vom Abend des 18. September 1953!) zu jener Meisterschaft entwickelt wird, für die das Ensemble in der ganzen Welt berühmt wurde.
Das Quintett KV 614 schließlich (November 1957) zeigt das Ensemble auf dem Gipfel seiner Mozart-Kunst: Spielerischer Witz und technische Meisterschaft gehen hier eine faszinierende Liaison ein, die – auch wenn sich stilistisch seither wieder vieles verändert haben mag – immer noch beeindruckt.
Matthias Roth