Johannes Brahms
Streichquartette
Philharmonia Quartett Berlin, 2 CDs
Es war ein schwerer Rucksack, den Johannes Brahms seine ganzen frühen Jahrzehnte mit sich herumschleppte: Nicht viele Komponisten sahen sich so von der Tradition herausgefordert und belastet wie der Hamburger, und nur wenige brauchten so häufige Anläufe, Umwege und Vorstudien, bis sie mit ihren Erstlingswerken der großen Gattungen herauskamen.
Als Brahms’ erstes Streichquartett uraufgeführt wurde, war der Komponist bereits vierzig Jahre alt und hatte zwei Streichsextette veröffentlicht, mindestens ein Quartett (in h-Moll) vernichtet und nach eigener Aussage zwanzig weitere begonnen. Eine „Zangengeburt“ nannte Brahms später sein Opus 51, zu dem ein zweites Quartett (a-Moll) gehört, und es ist fast ein Wunder, dass man beiden Stücken das überhaupt nicht anmerkt.
Weiter fällt auf, dass die Tradition, die Brahms so sehr im Nacken saß – vor allem Beethovens Spätwerk –, hier kaum vordergründig fassbar ist: Brahms’ Klangsprache tritt hier vollkommen frei in Erscheinung, und das Philharmonia Quartett Berlin setzt diese ebenso entspannt wie ausdrucksstark um und entwickelt einen Brahms-Sound von erheblicher Sogwirkung.
Die Musiker (Daniel Stabrawa und Christian Stadelmann, Violinen; Neithard Resa, Viola; und seit 2009 Dietmar Schwalke, Cello) – allesamt Mitglieder der Berliner Philharmoniker – gehören zu den besten und bestbezahlten Orchestermusikern der Welt. Aber Kammermusik geht anders als Orchesterarbeit: Merkt man das? Nein. Hier treten die Vier als Ensemble genauso hervor wie sie als Individualisten interaktiv agieren, und auch wenn ihr Altersdurchschnitt ein inzwischen relativ hoher ist, so ist die emotionale Spannung des c-Moll-Kopfsatzes etwa extrem hoch, ja, geradezu aggressiv, was dem Werk jene fast jugendliche Sprunghaftigkeit der Gefühle gibt, die man eigentlich eher von Jugendwerken und jugendlichen Ensembles erwartet.
Die Wiedergaben auch des a-Moll- sowie des dritten Quartetts B-Dur op. 67 sind gezeichnet einerseits von sonorer Klangfülle und bisweilen gelassener Spielfreude, aber eben auch von kantigen Rhythmen und zugespitzter Dynamik. Dabei wird Breite im Klang selten (wie im Andante von Nr. 3) durch Vibrato erreicht, sondern häufiger durch differenzierte Artikulation mit dem Bogen, was für Ensembles, die selbst den schweren Rucksack einer langen Orchestertradition mit sich herumtragen, eher selten ist.
Matthias Roth