Alexander Zemlinsky

Streichquartett Nr. 2 op. 15

Urtext, Studienpartitur/Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Henle, München 2020
erschienen in: das Orchester 10/2021 , Seite 73

Alexander Zemlinskys Streichquartett Nr. 2 op. 15, in langwieriger Arbeit zwischen 1913 und 1915 entstanden, gehört zu den Schlüsselwerken aus dem Œuvre des Komponisten. Im Gegensatz zu dem fast zwanzig Jahre vorher fertiggestellten, im Schatten von Johannes Brahms angesiedelten Streichquartett Nr. 1 A-Dur op. 4 (1896) verzichtet Zemlinsky hier auf eine Tonartbezeichnung und zeigt, dass er sich – in direkter Auseinandersetzung mit Werken wie Arnold Schönbergs richtungsweisendem Streichquartett Nr. 2 fis-Moll op. 10 – auf eine Überschreitung des klassisch-romantischen Tonalitätsdenkens zubewegt, wenngleich seine Harmonik weiterhin von wechselnden tonalen Zentren geprägt bleibt. Analog dazu zeichnen sich in der formalen Konstruktion zwar Momente einer Untergliederung in die Charaktere eines aus Sonatenhauptsatz, langsamem Satz, Scherzo und Finale bestehenden zyklischen Aufbaus ab, doch wird diese tradierte Formgebung durch die komplex strukturierte Einsätzigkeit des Werks überschrieben und immer wieder verwischt.
Die vorliegende, von Dominik Rahmer verantwortete und sowohl in Studienpartitur als auch in der ersten Violinstimme mit Vorwort und ausführlichem Kritischen Bericht ausgestattete Neuausgabe des Streichquartetts stützt sich im Wesentlichen auf jenen von Zemlinsky autorisierten Notentext, der im Juni 1920 mit der Erstausgabe des Stimmensatzes publiziert wurde. Aufgrund einer vom Komponisten künstlerisch begleiteten Aufführung durch das Feist-Quartett im März desselben Jahres weist das Stimmenmaterial insbesondere in Bezug auf Dynamik und Artikulation eine Reihe von Veränderungen und Ausdifferenzierungen gegenüber dem Notentext der bereits 1916 erschienenen Partitur des Werks auf, die nun auch Eingang in die aktuelle Edition gefunden haben.
Neben dieser längst fälligen inhaltlichen Angleichung von Partitur und Stimmen hat der Herausgeber auch Metronomangaben ergänzt, die nicht aus musikalischen Quellen stammen, sondern dem Briefwechsel zwischen Zemlinsky und Anton Webern entnommen wurden und sich auf die Vorbereitung einer von Webern betreuten Aufführung durch das Feist-Quartett im Mai 1919 beziehen.
Diese für die interpretatorische Auseinandersetzung mit der anspruchsvollen Komposition äußerst hilfreiche Ergänzung verweist auf eine Orientierung an den Anforderungen der Praxis, die sich auch im sorgfältig gesetzten Notentext des Stimmenmaterials spiegelt: Durch Integration sowohl von ausklappbaren als auch von unbedruckt bleibenden Seiten konnte durchgehend eine sinnvolle Anordnung von Wendestellen erreicht werden, die zusätzlich durch Integration von Stichnoten unterstützt wird.
Gleichsam als Zugabe erhalten nicht-deutschprachige Interpreten zudem ein Glossar zur Hand, in dem die zahlreichen differenzierten Ausdrucks- und Tempobezeichnungen Zemlinskys in englischer und französischer Übertragung aufgelistet sind.
Stefan Drees