Dvorák, Antonín

Streichquartett Nr. 2 B-Dur

hg. von Antonín Pokorný und Karel Šolc, Stimmen/Studienpartitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Prag 2014
erschienen in: das Orchester 03/2015 , Seite 72

Das frühe Streichquartettschaffen Antonín Dvoráks ist kaum bekannt und steht zu Unrecht im Schatten der letzten, amerikanisch geprägten Meisterwerke. Grund genug für Hartmut Schick, der die Ausgabe um ein neues Vorwort ergänzte, nach dem 5. Streichquartett f-Moll op. 9 (siehe das Orchester 7-8/2014, S. 71) nun kurz danach auch das 2. Streichquartett B-Dur folgen zu lassen. Wiederum handelt es sich um keine Neuedition, sondern um einen unveränderten Nachdruck der Einzelausgabe von Stimmensatz nebst Partitur aus der Gesamtausgabe der Werke Dvoráks (Band IV/5). Diese neu aufgelegte Ausgabe erschien nach Originalquellen bereits 1962 bei der Edition Supraphon, für welche die „Kommission für die Herausgabe der Werke Antonín Dvoráks“ verantwortlich zeichnete. Gestalt, das damalige Layout und die damals übliche Taktzählung zeugen davon.
Der noch junge Dvorák komponierte das B-Dur-Streichquartett mit zwei weiteren (in D-Dur und e-Moll) wohl 1868 oder 1869, nachdem er „immer stärker in den Bann der Musik von Wagner, Liszt und Berlioz“
geraten war. Dvorák selbst betrachtete sie im Nachhinein „als gescheiterte Experimente“, so der Herausgeber in seinem dreisprachigen Vorwort (deutsch/tschechisch/englisch) der Studienpartitur. Trotzdem ein bemerkenswertes Werk. So soll Dvorák formal mit jeglicher Gattungstradition gebrochen haben: Es gibt keine Sonatenform mehr, für ein Scherzo fehle die typische Dreiteiligkeit, so Schick. Mit seiner monothematischen Anlage ufert das Werk in seinen äußeren Dimensionen aus, welches sich mit einer Spieldauer von etwa 50 Minuten am kammermusikalischen Spätwerk Franz Schuberts zu orientieren scheint. Die Kontrapunktik und der Tonfall mit den für Wagner typischen Doppelschlagfiguren und oft wenig gegliederten „unendlichen Melodien“ könnte von den Meistersingern und von Tristan und Isolde angeregt sein. Indes mangele es nicht an „innerem Reichtum an Kontrasten und markanten Konturen“, so Hartmut Schick weiter.
Ein Glück also, dass dieses frühe Streichquartett (und auch die beiden anderen) nicht gänzlich der großen Vernichtungsaktion des Komponisten zum Opfer gefallen war, wie leider manch anderes Werk aus dieser Entstehungszeit der 1870er Jahre. Übrig geblieben sind davon lediglich Stimmensätze, welche sich damals im Besitz des Geigers Antonín Bennewitz befanden. Außerdem ist die Reihenfolge der drei Streichquartette nicht restlos geklärt. Das B-Dur-Werk ist im Gegensatz zu den anderen nicht nummeriert. Es könnte chronologisch das vierte sein, „doch sprechen stilistische Gründe sehr stark dafür“, es vor den beiden anderen Quartetten einzuordnen.
Einerseits kann man dem Herausgeber recht geben, dass die enorme kreative Energie Dvoráks mit seinem an den Tag gelegten satztechnischen Ehrgeiz zwar sehr beeindrucke und die „überall spürende Begabung noch weniger diszipliniert“ als in den beiden anderen Quartetten erscheine, doch spiegelt andererseits das B-Dur-Quartett den vorwärts drängenden Lernprozess eines werdenden Komponisten von Weltrang sehr eindrucksvoll wider.
Werner Bodendorff