Dvorák, Antonín

Streichquartett Nr. 1 A-Dur op. 2

hg. von Jarmil Burghauser und Antonín Cubr, Taschenpartitur/Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2012
erschienen in: das Orchester 05/2013 , Seite 70

Antonín Dvoráks Streichquartetten scheint in vielerlei Hinsicht ein ähnliches Schicksal beschieden wie seinen Sinfonien. Das Publikum kennt von beiden Werkgruppen gerade einmal die letzten drei, vier Vertreter, liebt sie geradezu heiß und innig und verhilft ihnen zu hoher Aufführungsfrequenz. Dabei sticht sogar je ein einzelnes Werk heraus – die 9. Sinfonie Aus der Neuen Welt und das 12. Streichquartett, das sogenannte „Amerikanische“. Die frühen Werke hingegen fristen ein Schattendasein oder sind gar gänzlich aus dem Konzertbetrieb verschwunden. Und das, wo es auch hier große Meisterschaft, überzeugende künstlerische Ideen und den für Dvorák so typischen musikantischen Schwung zu bewundern gibt. Obwohl der Böhme heute scheinbar nur mit seinem Spätwerk im allgemeinen Gedächtnis ist, sind gerade die früheren Werke alles andere als Leichtgewichte oder gar „Jugendsünden“.
Dies gilt insbesondere auch für das erste Streichquartett in A-Dur, das Dvorák auch dann noch hoch geschätzt hat, als ihm bereits eine ganze Reihe größerer musikalischer Erfolge geglückt waren. Rund ein Vierteljahrhundert nach der Entstehung arbeitete er es durchgreifend um und sorgte dafür, dass es (endlich) dem Publikum bekannt wurde. Doch so, wie sich eine frühere, nahe am Entstehungsdatum gelegene Aufführung nicht nachweisen lässt, so sporadisch ist das Auftreten des mehr klassisch als romantisch anmutenden Streichquartetterstlings in der Folge der Umarbeitung. Dabei haben die vier Sätze alles, was man an Dvoráks Musik so liebt: eine im Großen wie in der Binnensicht überzeugende Struktur, glanzvolle Melodien und eine immer souveräne Handhabung der Instrumente. Dazu kommt die vom Komponisten so gerne eingesetzte Tonart A-Dur, die das Strahlen der vier Streicherstimmen noch verstärkt. Die dichte Textur, die klassisch-ausgewogene Behandlung der Stimmen und die Sanglichkeit, die nicht nur der ersten Violine zugeordnet ist, machen Dvoráks erstes Streichquartett zu einem musikalischen Leckerbissen, der vielleicht nur deshalb so selten auf den Programmzetteln auftaucht, weil es eben so viele andere großartige Werke des Komponisten gibt.
Im Bärenreiter-Verlag ist jetzt eine Neuauflage einer Edition aus dem Jahr 1989 erschienen, die das Opus 2 Antonín Dvoráks in seiner rund 25 Jahre nach der ursprünglichen Entstehung revidierten Fassung wiedergibt. Um allerdings Einblicke in die seinerzeit durchaus gravierenden Eingriffe des Komponisten zu ermöglichen, enthält die Studienpartitur in 14 Anhängen die von Dvorák entfernten, mal etwas größeren, mal kleineren Passagen aus dem ersten, zweiten und vierten Satz. Diese Übersicht mag zunächst nur für Musikwissenschaftler interessant erscheinen, zeigt aber, wie souverän (nämlich im Wesentlichen mit einer überschaubaren Anzahl von Strichen) der Komponist aus seinem Frühwerk ein vollwertiges Mitglied seiner vierzehnköpfigen Streichquartettfamilie machte. Möglich war das nur, weil schon das Ausgangsmaterial eine sehr hohe musikalische Qualität hatte.
Daniel Knödler