Ludwig van Beethoven

Streichquartett in B op. 130/Große Fuge für Streichquartett op. 133

Urtext, hg. von Jonathan Del Mar, Studienpartitur/Stimmen/ Kritischer Bericht

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter
erschienen in: das Orchester 05/2020 , Seite 68

Deutschland erlebt Beethoven neu. Am Ende dieses Jahres werden wir alle Spezialisten für seine Musik sein. Kaum ein Konzert heuer, in dem nicht wenigstens ein Werk Beethovens erklingt; selbst seine unbekannteren Werke haben die Ehre. Auch die Neuausgaben sprudeln schon etwas länger.
Aber werden wirklich alle seine Werke aufgeführt? Die späten Streichquartette stehen seit jeher
im Ruf, sie seien besonders schwierig zu spielen, zu interpretieren, und auch die Hörer würden im Übermaß beansprucht. Beethovens Fähigkeit, Musik zu schreiben, die gerne als über alle Grenzen gehende Weltsprache gepriesen wird und die angeblich jeder zu „verstehen“ meint, scheint hier ob der spröden, teils querliegenden Tonsprache dieser späten Streichquartett-Gruppe zu versagen.
Einen Schritt, dem endlich Abhilfe zu verschaffen, tat der Bärenreiter-Verlag. Dort erschien nun das späte Streichquartett in B op.130 sowie die ursprüngliche Fuge op.133, die Beethoven durch einen geschmeidigeren Schluss-Satz ersetzte. Für damalige Ohren muss die Fuge zunächst wohl recht bizarr und unverständlich geklungen haben. So wagte ein zeitgenössischer Rezensent der Allgemeinen musikalischen Zeitung den Sinn nicht zu deuten: Für ihn war es unverständlich, „wie Chinesisch“. Doch schon früh bemerkten die Zuhörer, dass sich nach mehrmaligem Hören ein Sinn erschließt und die Fuge durchaus fasslich sei.
Der englische Dirigent, Musikwissenschaftler und Beethoven-Spezialist Jonathan Del Mar, der bereits in den 1980er und 1990er Jahren mit der Kritischen Ausgabe der Beethoven-Symphonien bekannt wurde, konnte auch für die vorliegenden Urtext-Ausgaben gewonnen werden. Er verfasste das zweisprachig gedruckte Vorwort mit der Angabe der Quellen und erläutert darin die speziellen Editionsprobleme und den Versuch, „Beethovens Notation so beizubehalten“. Außerdem sorgte Del Mar für den Kritischen Bericht, wenngleich leider nur auf Englisch. Das ist schade, denn der bleiern zu lesende Text erschwert den Zugang. Ein Umstand, der sicher nicht dazu beiträgt, sich Beethovens später Kammermusik endlich eindringlicher nähern, sein Ringen um Töne und Form nachvollziehen und verstehen zu lernen.
Wenigstens ist die jeweils ausführliche, englisch-deutsche „Einführung“ aus der Feder von Misha Donat in der Übersetzung von Axel Beer spannend zu lesen, erhellt eingehend und erschöpfend die Umstände der Entstehung des Streichquartetts und geht ferner mit sehr vielen Detailinformationen auf die Problematiken des Schluss- bzw. des Fugen-Satzes ein. Für eine bessere Orientierung bei der Probenarbeit sind jene „Richtbuchstaben“ eingefügt, die – von Beethoven abgesegnet – aus der Erstausgabe stammen.
Werner Bodendorff