Alessandra Barabaschi

Stradivari

Die Geschichte einer Legende

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Böhlau
erschienen in: das Orchester 12/2021 , Seite 70

Es gibt Hunderte von Publikationen zu Antonio Stradivari. Viel wurde geschrieben zu den angeblichen Geheimnissen des größten Geigenbauers aller Zeiten, manches hochspekulativ, anderes eher esoterisch angehaucht. Experten haben versucht, die Zusammensetzung von Stradivaris Lack zu ergründen, Krimiautoren haben sich auf Räuberpistolen rund um den Verkauf von Stradivari-Geigen gestürzt, und in dem ein oder anderen Buch durften gar die vom Meister aus Cremona gebauten Instrumente selbst von ihrem Schicksal berichten. Wo mit alten Geigen Millionen verdient werden, da blüht offensichtlich auch die Fantasie.
Alessandra Barabaschi, Kunsthistorikern und Autorin von Reiseführern, muss man zugutehalten, dass sie es in ihrem Stradivari-Buch zunächst einmal mit den Fakten versucht. Nicht viel ist über das Leben Antonio Stradivaris, seine Herkunft und Ausbildung, seine Arbeitsweise und die Gründe seiner großen Kunstfertigkeit bekannt. Doch was es an Quellen, vor allem vor Ort in Cremona, gibt, hat die Autorin akribisch zusammengetragen und dokumentiert. Dazu hat sie alte Kirchenbücher gesichtet, sehr große Teile der nach dem Tod Stradivaris entstandenen Literatur untersucht – und sie hat in den vergangenen Jahren mit einer Vielzahl von Experten gesprochen und sich dadurch nicht nur in Instrumentenhändlerkreisen eine gewisse Achtung erarbeitet.
Doch all die von Barabaschi zusammengetragenen Fakten und Indizien können kaum darüber hinwegtäuschen, dass das Material eben nicht ausreichend Substanz für eine Biografie von über 300 Seiten Umfang hergibt. Und hier fangen die Probleme an: Leerstellen versucht die Autorin mit Spekulationen und Vermutungen zu füllen, und die aufgrund von Faktenarmut auf knappem Raum darstellbare Lebensgeschichte Antonio Stradivaris wird ergänzt durch kunsthistorische Exkurse. Da wird spekuliert, ob Bilder, die nach Stradivaris Tod entstanden sind, gegebenenfalls ein Abbild des Geigenbauers enthalten könnten; oder es wird ausführlich über spätere Sammler und Händler von Stradivaris Instrumenten berichtet, was allenfalls dazu taugt, darzustellen, wie bald nach dessen Tod bereits die Legendenbildung einsetzte.
So interessant das Quellenstudium beispielsweise zum Geburtsjahr des Meisters aus Cremona sein mag, so dürftig sind die Ergebnisse; und sie werden von Alessandra Barabaschi durch Sätze wie diese dann auch noch entwertet: „Und wenn Sie meine Meinung zum Geburtsjahr von Antonio Stradivari wissen möchten, verrate ich sie Ihnen: 1647. Warum? Betrachten Sie es als Eingebung.“ Zudem mögen soziokulturelle Zusammenhänge wichtig sein für die Würdigung einer Persönlichkeit – doch wieso muss dazu die Zahl der Nachkommen Stradivaris mit der anderer berühmter Geigenbauer verglichen werden?
Barabaschi schreibt in einem gut lesbaren Stil, erliegt aber bei aller Transparenz der Darstellung eben doch der Versuchung, sich Vermutungen und Spekulationen hinzugeben, wo nur wenige Fakten greifbar sind.