Claude Debussy, Paul Dukas, Arnold Schönberg, Maurice Ravel

Stolen Music

Linos Piano Trio

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Avi-Music
erschienen in: das Orchester 12/2021 , Seite 83

Ein großes impressionistisches Orchester, verteilt auf drei Instrumente – kann das funktionieren? Das Linos Piano Trio macht dieses Experiment auf seiner CD Stolen Music zum beglückenden Erlebnis. Dabei gelingt einfach alles: die Übersetzung der Orchesterpartitur auf die viel übersichtlicheren Strukturen des Klaviertrios, die Suggestion einer enormen dynamischen Bandbreite und die gestalterische Umsetzung, als sei die Bearbeitung das kammermusikalische Original selbst.
Es ist frappierend zu hören, wie zu Beginn des CD-Programms Claude Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune keine seiner ursprünglich feinsten Klangnuancen und Schattierungen vermissen lässt, wie Violine, Cello und Klavier sogar in der Lage sind, dem noch einige Dimensionen hinzuzufügen. Prach Boondiskulchok, Konrad Elias-Trostmann und Vladimir Waltham spielen dieses Trio-Stück wie die verlorengegangene Urfassung von Debussys Impressionismus-Ikone. Das klingt begeisternd und überaus schlüssig und wird von der Tontechnik des Bayerischen Rundfunks brillant eingefangen.
Das einzige Stück des Linos-Programms, das man sich schon vor dem ersten Hören problemlos von einem Klaviertrio gespielt vorstellen kann, funktioniert dann zwar sehr gut, bietet aber nicht dasselbe spektakuläre Neu-Hörerlebnis wie die CD-Ouvertüre. Der Zauberlehrling von Paul Dukas bringt aber auch in der Fassung für drei alles an Bewegung, Dynamik und Dramatik mit, was diese Partitur als lustvolles Stück imaginärer Filmmusik wirken lässt.
Mit Arnold Schönbergs Verklärter Nacht op. 4 greifen der thailändisch-britische Pianist Prach Boondiskulchok (zugleich Komponist), der Geiger Konrad Elias-Trostmann (er ist zweiter Geiger beim WDR Sinfonieorchester Köln) und der Cellist Vladimir Waltham (Solist auch auf dem Barockcello und auf Gambeninstrumenten in allen Größen) auf eine gut eingeführte Bearbeitung von Eduard Steuermann zurück. Die ist zwar nicht ganz so brillant auf die Spielweise des Linos Piano Trios zugeschnitten, bietet dafür aber enormen Raum, Zwischentöne auszuloten und eine wundervoll verschmelzende Klangeinheit zu bilden. Den drei Musikern gelingt es phänomenal, gemeinsam zu „atmen“ und die Klänge der drei Instrumente so abzustimmen, dass wirklich der Eindruck eines homogenen Ensembles von Saiteninstrumenten entsteht.
Natürlich büßt das Finalstück dieser CD, Maurice Ravels La Valse, etwas an dynamischer Sprengkraft ein und wirkt auch lange nicht so „kaputt“ und gebrochen wie in der Orchesterfassung. Dafür entsteht unter den Händen des Linos Piano Trios ein ganz eigenständiges Stück Kammermusik, das die drei Musiker – wie im leider nur in englischer Sprache verfassten Booklet vermerkt – ganz bewusst im Geiste des Ravel-Klaviertrios konzipiert haben.