Antje Rößler

Steinway und Stachelgeige

In Phoenix steht das größte Musikinstrumenten-Museum der Welt

Rubrik: Zwischentöne
erschienen in: das Orchester 03/2023 , Seite 42

Arizona ist für den Grand Canyon bekannt. Das Naturdenkmal liegt im Norden des amerikanischen Bundesstaates. Sehenswert ist aber auch der Süden mit mannigfaltigen Wüsten, historischen Western-Städten – und hochkarätigen Museen. Das Musical Instrument Museum in Phoenix wird in Ranglisten unter den besten amerikanischen Museen gelistet. Es verfügt über eine Sammlung von mehr als 8 000 Instrumenten aus über 200 Ländern. Einzigartig ist der globale Ansatz: Die Bandbreite reicht von der japanischen Mundorgel bis zu Konservendosen-Trommeln aus Paraguay; von Heinrich Engelhard Steinwegs erstem Klavier über eine reich verzierte orientalische Stachelgeige bis zu riesigen zeremoniellen Schlitzorgeln aus Melanesien.
Als Europäer landet man meist am internationalen Flughafen in Phoenix. Beim Anflug staunt man über das riesige, dicht besiedelte Valley of the Sun, das „Sonnental“ der Sonora-Wüste. Bis an den Horizont erstrecken sich die gleichförmigen Wohn­anlagen für die „Snow Birds“, die Rentner aus dem kalten Norden, die hier ihren Lebensabend oder zumindest den Winter verbringen. In Arizona herrscht Wüstenklima mit extrem heißen Sommern. Nur die geringe Luftfeuchtigkeit und Klima­anlagen machen das ganzjährige Leben hier erträglich. Umso mehr locken klimatisierte Museen wie das Musical Instrument Museum, das von einem Kakteengarten umgeben ist. Der zweistöckige Museumsbau mit seinem hellen Sandstein verweist auf die traditionelle ortstypische Architektur.
Innen freut sich der Besucher über großzügige Räumlichkeiten und viel Tageslicht. Im Obergeschoss widmen sich fünf Abteilungen den Weltregionen. Die Nordamerika-Galerie zeigt spektakuläre Totempfähle und die große Trommel einer indianischen Powwow-Zeremonie, daneben ein Federschmuck-Kostüm. In der Asien-Galerie hängt eine Glockensammlung, die einst am koreanischen Kaiserhof verwendet wurde. In der Europa-Galerie freut man sich über die Abbildung einer deutschen Blaskapelle mit der Bildunterschrift: „At a German volksfest, traditional music plays a vital part in creating gemütlichkeit.“ Daneben ein Hinweis auf die Bedeutung der Stadt Markneukirchen für den Instrumentenbau.
Jede Musikkultur kann man hier visuell und akustisch in ihrem Umfeld erfahren. Möglich macht das ein Audioguide, der sich automatisch aktiviert. Steht man vor dem Instrumentarium einer mexikanischen Mariachi-Band, fährt einem sogleich der entsprechende mitreißende Sound ins Ohr. Dann wieder schwappt HipHop aus den Kopfhörern, wäh­rend man vor Graffiti steht; neben einer Puppe mit Sneakern, Basecap und schwerer Goldkette.
Die Ausstellung über den Kongo, die größte in der Afrika-Galerie, wurde vor Kurzem neu organisiert. Die Instrumente sind nun nach Herkunft und Verwendung so angeordnet, dass sie die musikalische Topografie des Landes widerspiegeln. Im Mittelpunkt eine kunstvoll geschnitzte, auf vier Füßen stehende Trommel, die einst als Symbol der Herrschaft galt.
„Hohe“ und „niedere“ Ausdrucksweisen werden vollkommen gleichberechtigt präsentiert; die abendländische Klassik erscheint als eine Musikkultur unter vielen. In diesem Bereich gibt es etwa Schaukästen zum Sinfonieorchester, wo die Ins­trumentengruppen vorgestellt werden. Schulklassen versammeln sich um das klingende 3D-Modell eines Orchesters, das vom Museum zusammen mit dem London City Orchestra entworfen wurde. Von allen Musiker:innen sowie dem ­Dirigenten Pablo Urbina wurden Figürchen im 3D-Drucker angefertigt, die nun auf einem Miniatur-Konzertpodium sitzen.
Gründer und Leiter des Musical Instrument Museum ist Bob Ulrich. Er war einst Chef der Einzelhandelskette Target. Als er in Rente ging, konzipierte er das Museum und steuerte zu dessen Errichtung 200 Millionen Dollar bei, einen Großteil des Budgets. Museumsnarr Ulrich hatte festgestellt, dass sich die wenigen existierenden Musikinstrumenten-Museen vornehmlich der abendländischen Musik widmen. Sein Ziel war es, „eine neue Art von Museum zu entwickeln, das sich auf Instrumente konzentriert, die täglich von Menschen auf der ganzen Welt gespielt werden“, so heißt es auf der Homepage.
Das Musical Instrument Museum läuft als Non-profit-Organisation und erwirtschaftet 60 Prozent seines Etats durch Eintrittsgelder. Ein Ticket für Erwachsene kostet 20 Dollar. Für 100 Dollar im Jahr wird man Mitglied und kann das Museum jederzeit besuchen. Ankäufe und Schenkungen erweitern die Sammlung beständig. So erwarb das Museum 2020 eine private Pariser Sammlung von 64 Mandolinen. Manche Exponate haben eine spannende Reise hinter sich. Zum Beispiel jene Laute, die 1919 in Ägypten gebaut und in den 40er Jahren von einem musizierenden syrischen Tabakhändler erworben wurde, dessen Familie später nach Venezuela zog. Das MIM erwarb sie kürzlich vom Enkel des Tabakhändlers.
Ein Schwerpunkt der Museumsaktivitäten ist die Education-Arbeit. Für Lehrer gibt es vielfältiges Material, um den Ausstellungsbesuch vor- und nachzubereiten. Während der Corona-Pandemie wurden virtuelle Führungen produziert. Für Senior:innen entstanden in Zusammenarbeit mit dem Musiktherapie-Studiengang der Arizona State University zwei Video-Sammlungen: das Wellness-Paket für körperliche Fitness und das Memory-Care-Paket gegen Gedächtnisprobleme. Musiktherapie-Student:innen spielen die Instrumente, singen, laden zur Bewegung ein. Vor Kurzem hat das Museum staatliche Fördergelder erhalten, um diese Programme wissenschaftlich zu evaluieren.
Die Ausstellung in den fünf geografischen Galerien wurde durch wechselnde Sonderausstellungen im Untergeschoss ergänzt. Derzeit läuft die Schau „Rediscover Treasures: Legendary Musical Instruments“. Zu den „legendären Instrumenten“ gehören neben 28 Neuerwerbungen etwa eine Muschel-Trompete der Maya, ein goldverzierter Erard-Flügel, Fragmente einer mesopotamischen Leier und eine schwarze Gitarre von Jimi Hendrix. Ebenerdig befinden sich mechanische Orgeln sowie die Instrumente großer Künstler von Ravi Shankar bis Carlos Santana. Hinter einer Scheibe kann man die Restaurator:innen beobach­ten. Das Museum verfügt über einen Konzertsaal mit 300 Sitzplätzen, wo 200 Konzerte jährlich statt­finden; mit Jazz, Folk, Weltmusik oder Klassik.
Nebenan in der Experience Gallery ist alles zum Anfassen. Man kann mit eigenen Händen ein Theremin zum Raunen bringen oder an einer birmesischen Harfe zupfen. Im Foyer steht zudem ein öffentlicher Konzertflügel. Ein Café-Besuch im Kakteengarten rundet den Museumsbesuch ab.