Bruckner, Anton / Ludwig van Beethoven / Robert Schumann u.a.

Stanislaw Skrowaczewski – the complete oehmsclassics recordings, 90th birthday collection

28 CDs

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms Classics OC 090
erschienen in: das Orchester 04/2014 , Seite 73

Er ist bereits 90 Jahre alt und immer noch ungeheuer aktiv: Stanislaw Skrowaczewski. In einer Zeit von unglaublichen nahezu 70 Jahren wirkte Skrowaczewski als Dirigent und hochtalentierter Komponist, wovon die vorliegende CD-Kollektion ein reges Zeugnis ablegt. Mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken (jetzt Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken-Kaiserslautern) hat er viele Werke mustergültig eingespielt. Beethovens 9. Symphonie wartet bei Skrowaczewski mit einem explosiven „Götterfunken“-Finale auf, das alle mitreißt. Das wilde und kämpferische Fugato sucht seinesgleichen, mündet atemlos in „Seid umschlungen, Millionen“.
Skrowaczewski hat ebenso einen untrüglichen Blick für die Melancholie und Schwermut Robert Schumanns, die sich bei dieser Wiedergabe etwa in der 2. Sinfonie deutlich ankündigt. Die schwächeren Orchesterpassagen erfüllt der Dirigent mit seinem mit glühender Emphase musizierenden Orchester mit großer Vitalität und innerer Überzeugungskraft. Einzigartig und unerreicht scheint Skrowaczewskis Blick für das große Ganze, das er nie aus den Augen verliert. Dies zeigt sich etwa in der klugen Orchesterbehandlung von Chopins Klavierkonzerten Nr. 1 und Nr. 2, wo er dem schwach komponierten Orchesterpart einen ungewöhnlichen klangfarblichen Reichtum verleiht. Die Pianistin Ewa Kupiec fühlt sich bei der Einspielung sichtlich wohl, denn Skrowaczewski lässt ihr trotz zügiger Tempi genügend Zeit für poetische Ausdruckstiefe und lyrische Emphase.
Aber auch als Bruckner-Interpret ist Stanislaw Skrowaczewski eine Klasse für sich, der den erratischen Blöcken etwa der 5. oder 8. Sinfonie monumentale Größe verleiht. So setzte er auch bei Bruckners 4. Sinfonie vor jedes tiefe Ces der Tuba einen weichen Gongschlag – ohne zu wissen, dass Bruckner an genau dieser Stelle einen Beckenschlag gesetzt hat. Bei seinen Brahms-Interpretationen legt Skrowaczewski großen Wert auf die Präsenz der Streicher, wie sie etwa im Finale der 1. Sinfonie zu hören ist. Eine jubelnde Stretta führt hier zu einem bewegenden Abschluss.
Ein wirklicher Gewinn bei dieser Sammlung ist auch die Bekanntschaft mit dem Komponisten Skrowaczewski, dessen Music at Night, die Fantasie für Flöte und Orchester Il Piffero della Notte (mit der subtilen Flötistin Roswitha Staege) und die 2003 entstandene Symphony In Memory of Ken Dayton ganz neue akustische Welten erschließen. Spirituelle Tiefe, Klarheit in Form und Inhalt, anspruchsvolle Orchestrierung sowie Witz und Trauer beherrschen diese Werke in geradezu magischer Weise. Bartók, Messiaen und Szymanowski zeigen wiederholt ihre harmonischen Einflüsse, und auch der Klassizismus eines Wagner und Bruckner bleibt spürbar. Kraftvoll-dramatisch wirkt Skrowaczewskis Music at Night. Noch wirkungsvoller allerdings ist die Symphonie aus dem Jahr 2003, wo die kulturelle „Verarmung der Menschheit“ ultimativ angeklagt wird. Im letzten Satz stürzt die Symphonie in Mahler’scher Manier in einen unendlichen Abgrund.
Alexander Walther