Antonín Dvořák
Stabat mater
for Soloists, choir and piano. Julia Kleiter, Gerhild Romberger, Dmitry Korchak, Tareq Nazmi, Julius Drake, Chor des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Howard Arman
Schauerlich, gruselig gar. Attribute, die sich auf den düsteren und fahlen Beginn des Stabat mater von Antonín Dvořák beziehen und zwar auf die erste Fassung mit sieben Sätzen aus dem Jahr 1876 op. 58 mit lediglich einem Klavier (Julius Drake) als Begleitung. So, als ob zunächst der Tod selbst als Akteur erscheint, das traurige Geschehen atmosphärisch tränkt und mit todesnahem „passus duriusculus“ das Ganze ständig durchwandert und latent zu spüren ist. Dieser musikalische Topos äußert sich hörbar durch eine chromatisch abfallende Quarte. Zwischendurch kommt er aber auch tröstend daher, wie das „Sollst sanft in meinen Armen schlafen“ im Matthias-Claudius-Gedicht Der Tod und das Mädchen.
Der eine oder andere mag bei manchen Stellen in der Klavierbehandlung – so beispielsweise bei „Eja mater, fons amoris“ – vielleicht an jene „schauerlichen Lieder“ der Winterreise von Franz Schubert denken, von ihm selbst in einer Einladung an seine Freunde so bezeichnet. Wolfgang Stähr, der das informative Booklet verfasste, weist auch auf diese Affinität hin. Insbesondere läge auf der Musik dieser „fatalen Wanderschritt, der Schreitrhythmus einer unaufhörlichen Marcia funebre buchstäblich zugrunde, von der Wiege bis zur Bahre“.
Stähr gibt ferner eine kleine Übersicht über die Situation der damaligen katholischen Kirchenmusik und ihre Reformbestrebungen im 19. Jahrhundert, ist aber vorsichtig in der Beurteilung der biografischen Zusammenhänge um den Tod von Dvořáks Kindern in bezug auf das Werk.
Der bald nach der Klavierintroduktion einsetzende Chor, der unter der Leitung von Howard Arman zunächst wie aus einem Nebel hinaustritt, noch schemenhaft, dann klarer, aber stets bei bester Stimme, singt nahezu intonationsrein mit bewegender Stimme und tiefem Ernst, mildert die Atmosphäre zum Tröstlichen und Sanften.
Aber auch die einzelnen, unaufgeregt und emphatisch klingenden Soli mit Julia Kleiter, ihrerseits mit herrlichem Sopran ausgestattet, Gerhild Romberger mit samtigen Alt, Dmitry Korchak mit hellem und glockenreinem Tenor sowie Tareq Nazmi mit erdigem und tiefgründigem Bass verschönern einzeln oder in verschiedenen Gruppierungen das tieftraurige und zugleich hoffnungsvoll komponierte Stabat mater. Aufgenommen wurde es Anfang März 2019 im Münchner Prinzregententheater.
Anders als bei dem fast zwei Jahre später von Dvořák für großes Orchester bearbeiteten Werk fehlen hier noch vier Strophen zwischen „Tui nati vulnerati“ bis zum Ende der Strophe von „Virgo virginum praeclara“. Dvořák vertonte dann auch diese Strophen und versah die mittelalterliche Sequenz mit ihren 20 Strophen mit einem üppigen
Instrumentalapparat – wohl auch eine Art „musikalische Antwort und Trauerarbeit nach dem Tod seiner beiden Kinder“. Während die vorliegende Fassung in trauriger, beinahe meditativer Intimität verhaftet bleibt, passt die Orchesterfassung eher in den Konzertsaal.
Werner Bodendorff