Christian Elsässer

Spurensuche

Christian Elsässer (Komposition / Leitung / Klavier), WDR Big Band

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Tangible Music
erschienen in: das Orchester 12/2020 , Seite 73

Schon früh zeigten die Jazzmusiker ein Interesse, quasi konzertante Musik zustande zu bringen, zumal wenn sie größere Ensembles hatten. Duke Ellingtons Black And Tan Fantasy von 1927 ist ein Beispiel, dem Creole Rhapsody 1931 und ab den 1940ern die Suiten folgten, bis zu Latin American Suite 1972. Zahllose internationale Musiker starteten ähnliche Projekte.
Christian Elsässer, 1983 in München geboren und dort am Richard-Strauss-Konservatorium in den Fächern Klavier, Jazz-Piano und Komposition ausgebildet, reiht sich hier ein mit dem Auftragswerk Spurensuche für die Bigband des Westdeutschen Rundfunks Köln, das im Dezember 2018 und Februar 2019 in WDR Studio 4 aufgenommen wurde.
Mit dem Titelstück Spurensuche scheint sich Elsässer zunächst in das Projekt hineinzutasten, und
so etwa sagt er es auch im Booklet. Eine lyrische Einleitung geht in eine elegante Themenmelodie über. Ein langes, vielteiliges Solo des Kontrabassisten John Goldsby schlängelt sich gleichsam um das öfter vom Orchester wiederholte Motiv herum, dessen Aura an die Arbeiten des US-Komponisten Gil Evans aus den 1950er Jahren erinnert.
Up & Down lässt auf eine ähnlich cool-jazzige Headline ein Trompetensolo von Ruud Breuls folgen, der sich stilistisch passend ein wenig an Chet Baker zu orientieren scheint. Später bietet das Stück ausgedehntere Ensembleteile, die auch dynamische Steigerungen
enthalten.
Bei The French Cowboy lässt der Komponist die Bigband zunächst aufblühen, um sie dann zu einer verhaltenen Ballade zurückzunehmen. Karolina Strassmayer, Altsaxofon, und Andy Hunter, Posaune, treten mit teils ruhig-gedankenvollen, teils auch recht expressiven Solopassagen hervor. Emilia, das Porträt eines trippelnden Kindes, gibt Ludwig Nuss (Posaune) und Johan Hörlén (Altsaxofon) Gelegenheit, sich vorzustellen. Diese hübsche Widmung an das Töchterchen Elsässers endet mit einem Abendliedchen zum Schlafengehen der Kleinen.
Als vergleichsweise konventionell wirkendes, riff-basiertes Stück für Bigband ist Moondance ein Feature für den Trompeter Andy Haderer. Auf ähnlicher Linie liegt The One und gibt dem kraftvollen Tenorsaxofonisten Paul Heller ähnlich viel Raum. Zeitlang wird als Ballade für die Ehefrau des Komponisten apostrophiert. Der weit gedehnte Ablauf lässt – nicht zuletzt dank des Flügelhornsolos von Haderer – an Sketches of Spain denken, eine zunächst auf Tonträgern festgehaltene und später auch in Konzerten aufgeführte Reihe grandioser Stücke von 1959/60 mit Miles Davis als Solisten.
Positiv ist bei den sieben Tracks, von denen zwei mehr als zehn Minuten dauern, dass jeweils nur ein oder zwei Solisten eingesetzt werden. Der Werkzyklus Spurensuche erweist sich als gelungener Beitrag zur zeitgenössischen Musik für Jazzorchester. Was man dabei vermissen könnte, ist mindestens ein weniger lyrischer und weniger gefälliger, etwas mehr kantiger, provokativerer, vielleicht sogar explosiver Teil.
Günter Buhles