Kaiser, Joachim

Sprechen wir über Musik

Eine kleine Klassik-Kunde

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Siedler, München 2012 / der Hörverlag ISBN 978-3-86717-940-9
erschienen in: das Orchester 04/2013 , Seite 63

„Was Sie schon immer über Klassik wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten“: So könnte man, im Geiste Woody Allens, Joachim Kaisers jüngstes Buch zusammenfassen. Er selbst beschreibt die Entstehung so:
In einem Video-Blog habe er auf Fragen, die Leser an die Süddeutsche Zeitung geschickt hätten, geantwortet. Dies sei die Grundlage für dieses Buch gewesen. Außerdem wolle er mit dieser „kleinen Klassik-Kunde“ gegen das Desinteresse an der klassischen Musik, das sich bedrohlich ausbreite, etwas unternehmen. Kaiser will begeistern, wofür er sich begeistert. Es sind meist kurze, eine bis drei Seiten lange Texte, deren Überschriften oft plakativer sind als die Inhalte. Mal antwortet er nur mit einem ausführlichen „Ja“ auf die Frage, ob das Adagio aus dem A-Dur-Klarinettenkonzert das Wunderbarste sei, was Mozart je komponiert habe. Dann schreibt er ausführlicher und sehr lesenswert über die Stille vor, während und nach der Musik.
Immer wieder kommt Kaiser auf Wagner zurück – die Frage allerdings, ob man nach wiederholtem Hören der Meistersinger zum NPD-Wähler werden könne, wäre vielleicht besser ungestellt geblieben. Manche Frage, etwa die, ob André Rieu der wahre Johann-Strauß-Interpret sei, beantwortet Kaiser wortreich nicht; auch bei Anna Netrebko mag er sich nicht festlegen. Um so mehr bei Herbert von Karajan, dem „erfolgreichsten Dirigenten der Musikgeschichte“. Ein paar Seiten weiter folgt die Eloge auf Wilhelm Furtwängler, den „vielleicht größten Musikinterpreten, der je gelebt hat“, und zum Thema Heldentenor fällt ihm einzig Wolfgang Windgassen ein. Aber die kurze Form reicht ihm auch zu einem packenden Mini-Porträt von Maria Callas, und auch über Gustav Mahler, wie Kaiser ihn beschreibt, hätte man gerne mehr gelesen.
Wie schon bei seinen 2008 erschienenen Memoiren „Ich bin der letzte Mohikaner“ hat auch bei diesem Büchlein Tochter Henriette Kaiser mitgewirkt. Sie führte auch Regie beim Hörbuch, das zeitgleich erschienen ist, und sie spricht in der Lesefassung die Überschriften und Zitate. Ansonsten liest der 84-Jährige seine Texte routiniert und heiter. Wenn er aber geradezu schwärmerisch die Interpretationen von Sabine Meyer und Benny Goodman des schon erwähnten Mozart-Adagios vergleicht, wartet man förmlich auf das Erklingen der Töne – doch das bleibt hier und an anderen Stellen leider aus. Die zwei CDs sind eine reine Lesefassung, da wurden die Möglichkeiten, die ein Hörbuch bietet, leider verschenkt.
Buch wie Hörbuch enden mit Kaisers Blick aufs eigene Metier: Musikkritiker brauche die Welt so wenig wie Autos, Zeitungen, Fernsehdiskussionen, aber als Anwalt des Bürgers seien sie doch ganz nützlich. Er hofft auf ein Comeback des traditionellen Theaters, seine Theatererlebnisse der vergangenen 50 Jahre hätten ihn zum Pessimisten werden lassen. Doch diesem bösen Blick aufs Regietheater zum Trotz will Joachim Kaiser vor allem Lust und Interesse an der Musik wecken, mit einer netten Klassik-Plauderei, mehr für Einsteiger als für Profis.
Ute Grundmann