Reimann, Aribert

Spiralat Halom / Eingedunkelt / Neun Stücke

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wergo WER 7337 2
erschienen in: das Orchester 10/2016 , Seite 71

Dunkle, bewegte, brodelne Klangmasse, scharf profilierte Intervalle im hellen Blech, dann mächtige Schlagzeug-Interventionen: Einen sehr energischen Beginn hat Spiralat Halom für großes Orchester von 2002. Diese Traumspiralen, die sich beim Komponisten aus der Wahrnehmung eines geträumten Bildes aus der Zeit des Kriegs im Irak entwickelten, sind das erste Werk auf einer neuen Aribert-Reimann-CD. Aber schnell weicht die aggressive Traumspiralen-Dynamik fast bukolisch zu nennenden Holzbläser-Kantilenen. Gleitende, sich wölbende, in dichte Akkordmasse sinkende und wieder in fast diskursiver Verwebung sich entwickelnde Prozesse, in denen sich nervöse Bewegungszüge und kantable Artikulation ablösen, dominieren. Immer hat diese Musik Halt in sprach-analoger Klang-Rhetorik, die affektive Korrespondenz im Zuhörer findet. Schrei, Ansturm, Beruhigung, Erwartung und massenhafte, gleichsam kollektive Offensichtlichkeit im Kontrast zu zurückgezogenen, reflektierenden, jedenfalls privat wirkenden Haltungen. Man erkennt auffällig homofone, unisono gegebene Melodiezüge, die an einschlägige Intonationen Olivier Messiaens denken lassen.
Ganz hervorragend artikuliert Tim Severloh in Eingedunkelt. Das Werk ist ein Zyklus von neun Gedichten Paul Celans, die Reimann 1992 für Alt-Solo schrieb. Hier liegt jetzt die Ersteinspielung der Version für Countertenor vor. Das spezifische Counter-Timbre gibt vielen dieser Gedichte einen offensiven Charakter. Die Stimme Severlohs schimmert und gleißt, nicht zuletzt dank der famosen Aufnahme aus dem Rolf-Liebermann-Studio des NDR Hamburg, in allen möglichen Facetten. Severloh liefert eine Meisterleistung. Ein Moment des Außersichseins ist selbst in den verhaltenen Partien spürbar und schafft den ganz freigestellten Kantilenen einen einheitlichen Charakter. Leider enthält das Booklet der CD nicht den Text der Celan-Gedichte.
Die beziehungsreiche Zusammenstellung der Reimann-Werke wird durch den letzten Programmpunkt vervollständigt. Neun Stücke für Orchester, ein Jahr nach Eingedunkelt komponiert, korrespondiert im linear gestalteten Verlauf mit den neun Celan-Vertonungen, wenngleich im volltönigen, vielgestaltigen Verlauf der Orchesterstücke sicher nur Ansätze der Inspiration den Bezug zur Vokalität der Gedichtvertonungen darstellen. Die Melos-Affinität dieser Formgebung ist eine Klammer, die allgemein die Werke Aribert Reimanns umfasst. Wie bei Spiralat Halom dirigiert Christoph Eschenbach mit viel Sinn für Farbe, aber auch mit Deutlichkeit in den düsteren Ballungen und den repetitiven, auch kondukthaften Momenten. Souveränität und Artikulationsweite vermittelt sehr pointiert das NDR Sinfonieorchester.
Bernhard Uske