Wolfgang Rihm

Sphäre nach Studie/Stabat Mater/Male über Male 2

Christian Gerhaher (Bariton), Jörg Widmann (Klarinette), Tabea Zimmermann (Viola), Tamara Stefanovich (Klavier), Mitglieder des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Stanley Dodds

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: BR Klassik
erschienen in: das Orchester 9/2022 , Seite 68

Ob so geplant oder nicht: Die CD mit der #39 (so die Markierung) enthält u.a. Rihms Stabat Mater, das gelegentlich der Berliner Festspiele 2020 als Auftragskomposition seine Uraufführung erlebte, nunmehr aber auch pünktlich zur diesjährigen Passionszeit auf den Musikmarkt gebracht wurde.
Wer indes etwa Pergolesis oder Dvořáks Verarbeitung des katholischen Liturgietextes im Ohr hat und jetzt etwas Vergleichbares, nur „in Modern“ annimmt, sieht sich zwar nicht so sehr musikalisch als vielmehr hinsichtlich des religiösen Gehalts getäuscht. Denn „etwas Frommes“ war die Intention Wolfgang Rihms eher nicht: „Ich sehe darin weniger einen Bestandteil der Liturgie (welcher eigentlich?) als eine Dichtung, einen subjektiv dichterisch gestalteten Betrachtungsmoment. Ein (wohl männlicher) Betrachter eines Bildwerks gibt sich seinen Gedanken und Fantasien hin“, lässt Rihm sich im Interview vernehmen. Und: „Sicher hat mich dieses ‚Litaneihafte‘ am wenigsten interessiert. Ich folgte den emotionalen Kurven und Gestaltwechseln, die der Text offenlegt.“
Diese literaturwissenschaftliche Herangehensweise wird von zwei Ausnahmekünstler:innen in wahrlich ungewohnte Klänge umgesetzt: Martin Gerhaher (Bariton) und Tabea Zimmermann (Viola) stellen ein vor Schwierigkeiten nur so strotzendes Werk vor – und sie meistern es vorzüglich.
Damit sind aber noch nicht alle hier versammelten Ausnahmekünstler:innen benannt. Eingeleitet wird die CD mit der Sphäre nach Studie für sechs Instrumentalisten (zwei Schlagzeuge, zwei Kontrabässe, Harfe und Klavier), hochengagiert vorgetragen von einigen der vorzüglichsten Mitgliedern des ohnehin vorzüglichen Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, erweitert um die Pianistin Tamara Stefanovich. Martina Beeber weist im Beiheft darauf hin, dass diese Ensemblekomposition „ihren Ursprung in einem fast zehn Jahre älteren Werk“ hat, „dessen Titel sich […] im Wortspiel des neuen Namens versteckt“: Sphäre nach Studie vs. Nachstudie – so der Titel der originalen Klavierfassung, die in der neuen Version „unter den Übermalungen unverändert erhalten“ bleibt.
Ein weiterer großer Name begegnet uns im dritten hier eingespielten Werk, das wohl nicht zufällig auch hier ein Wortspiel anbietet: Male über Male 2 vs. „übermalen“… Für dieses Werk für Klarinette und neun Instrumentalisten hat Rihm den einzigartigen Klarinettisten und Widmungsträger der Urfassung, Jörg Widmann, gewonnen. Die weiteren Mitspieler:innen sind identisch mit den zuvor genannten Personen. Besagte Urfassung hat Wolfgang Rihm zweimal „übermalt“, „wobei das hinzugefügte Ensemble das Kernstück nicht übertüncht, sondern es gleichsam umkapselt“, um wieder Martina Beeber zu zitieren.
Friedemann Kluge