© Dresdner Philharmonie

Ute Grundmann

Spaziergang für die Ohren

Klanginstallationen am Dresdner Kulturpalast – und anderswo

Rubrik: Zwischentöne
erschienen in: das Orchester 1/2022 , Seite 40

Sanfte Streicherklänge schleichen sich ins Ohr, Autolärm und Tramrattern zum Trotz. Wie hingetupft kommen die Töne an der Ecke Altmarkt/Galeriestraße in Dresden daher. Hier steht der Kulturpalast und von ihm gehen diese Töne aus, die zu einem „Hörspaziergang“ mit der Dresdner Philharmonie einladen. Doch die schönen Streicher erklingen fast am Ende – also zurück zum Anfang dessen, was der Komponist Martin Olbrisch für seine Klanginstallation ersonnen und erarbeitet hat. Von 2008 bis 2020 war er Professor für Elektronische Musik an der Musikhochschule Carl Maria von Weber in Dresden, solch ein Programm „aus Material des klassisch-romantischen Repertoires zu erstellen, war für mich etwas sehr Besonderes“.
Der zufällige oder gewählte Weg des spazierenden Hörers beginnt in der Schlossstraße mit sakralem und weltlichem Gesang und muss sich unter Umständen auch gegen das Knattern am Fahnenmast durchsetzen. Solche Umweltbedingungen waren mitgedacht, als die Idee während des Lockdowns entstand: Weil das Publikum nicht zu seinem Orchester durfte, wollte die Philharmonie „nach außen signalisieren, dass der Klangkörper noch klingt“, so formuliert es Olbrisch.
Sein Konzept wurde angenommen, nach dem Ende des Lockdowns wollte man die „trotzdem schöne Idee“ dennoch umsetzen. Und so konnte es am 7. Oktober endlich losgehen, für genau drei Wochen. Mehr erlaubte der Denkmalschutz nicht, die winzigen Lautsprecher am Rundumbalkon durften die Fassade nicht verschandeln.
Die ließen aus Orgelklängen auch Protest­töne zum Bürgersteig herab, einzelne, hallende Schläge auf Metall, abgelöst von hellen, schnellen Streichern. Solche sehr verschiedenen Collagen hat Martin Olbrisch zusammengefügt, nachdem er sich durch Philharmonie-Aufnahmen von Schellack bis heute gehört hatte. Nicht zu viele Motive – „das hören die Leute bei der Unruhe nicht“ –, keine Schleifen, sondern immer wieder Neues; „interessante Sätze“, die auch Orchestergeschichte erzählen.
So entstand aus Verschiebung, Mischung und Überlagerung wie gewünscht Irritation – wenn etwa aus einem dunkel sirrenden Grundklang Klaviertöne deutlich hörbar auf- und wieder absteigen. Dazu musste man sich allerdings weiter vom Kulturpalast entfernen, als es die rundum aufs Pflaster geklebten roten Fußstapfen vorgaben. Denn zu nahe am Konzerthaus blieben Olbrischs Collagen ungehört, statt „wie von einer Probe bei offenen Fenstern“ zu klingen.
Eine besondere Lage hat der Kulturpalast noch in anderer Hinsicht: Schräg dahinter befindet sich die wiederaufgebaute Frauenkirche, schräg gegenüber die Kreuzkirche. Und den Komponisten selbst hat „verblüfft, wie unheimlich viele Werke mit Glocken es in Programm- und Theatermusik gibt“. Wenn also die Glocken der Kreuzkirche ganz real gleich- und rechtzeitig mit Orchesterglocken anschlügen, „gäbe das wunderbare Irritationen“.
So setzte sich aus den „Schnipseln“ (Olbrisch) aus Aufnahmen der Dresdner Philharmonie – trotz Wetter, Kutschenrollen und Gesprächsfetzen – ein Klangbild zusammen, das lauschende Passanten direkt in den Konzertsaal führen könnte. Vielleicht auch solche, denen die Schwelle zum Musikgenuss bisher zu hoch war.
Klanginstallationen oder Klangskulpturen gibt es in vielen Formen und Farben; mal dokumentarisch, mal künstlerisch, manches auch nur zum Spaß. So erhebt sich im thüringischen Bad Berka allsommerlich das „Parkgeflüster“, und das schon im zwölften Jahr. Rund um den „Verlobungstempel“ im Kurpark erklingt dann Musik, unter freiem Himmel, aber aus der Konserve. Dafür werden sechs klingende Blöcke geschnürt, die rund um den Tempel aus sieben Lautsprechern den Besuchern zuflüstern – eingespielt von Schülern des Weimarer Musikgymnasiums Schloss Belvedere, dem Ensemble Contraste oder dem Santec Music Orchestra. In diesem Jahr gab es zum ersten Mal auch Wortgeflüster: Ein Hörspiel-Abend lieferte den „Beweis“, dass sich neben Weimar auch Bad Berka Goethestadt nennen darf …
In einem alten Berliner Wasserspeicher tummelten sich 2016 Studenten der BTU (Brandenburgische Technische Universität) Cottbus-Senftenberg, um mit Licht und Tönen den Wegen des Wassers nachzuspüren. Schwingende Leuchten, Interviews mit Architektur-Studenten, Schall und Hall sowie Klangrauschen wurden in einem Video festgehalten, das sich, wie vieles andere, auf YouTube finden lässt.
„Räume für die Emotion des eigenen Klagens“ soll dagegen ein Projekt des Erzbistums Paderborn öffnen, das am Himmelfahrtstag 2021 begann. Das Duo INS (Institut für Inszenierung) Sabine Reibeholz & Marc von Reth entwarf für diesen „Klageklang“ verschiedene Angebote: Der Schlag auf eine Bronzeplatte kann da düstere Gedanken darstellen und vielleicht ein Echo finden. Vor allem aber könne man hier, ganz zeitgemäß, „ohne Aerosolgefahr“ seinen Gefühlen freien Lauf lassen. In der Hauptstadt sollte eine Klangskulptur die gute alte „Berliner Luft“ vibrieren lassen; „Töne gegen Homophobie“ werden ebenso installiert wie „Manipulierte Klaviere“; an der Universität Bielefeld setzte man Klänge gar für „Die Verfolgung politischer Zwecke“ ein – und protestierte damit gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für einige Vereine.
Gerade mal ein halbes Jahr alt ist die Einladung des Objektkünstlers Kai Wolf, mal nicht an der Himmelstür anzuklopfen, sondern: „Knocking on hell’s door“. Für wenige Video-Minuten ist in einer „kinetischen Klangskulptur“ ein Türklopfer in Form eines grünlich-metallenen Löwenkopfes zu sehen, es klickt und klappert, ein Schlüssel dreht sich unablässig klackernd und die Stirn des Löwen neigt sich vor und zurück, um so und immer wieder eine Glocke anzuschlagen. Die Höllentür tut sich zwar nicht auf, dennoch war Martin Olbrischs klingende Einladung zur Dresdner Philharmonie im Kulturpalast viel verlockender.

 

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