Petra Dießner/Anselm Hartinger

Spaziergänge durch das musikalische Leipzig

Bach, Mendelssohn und Schumanns

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Henschel
erschienen in: das Orchester 10/2020 , Seite 58

Diese Spaziergänge passen in die Hosen- oder Handtasche. Man kann sich von dem Bändchen leiten lassen oder ab und zu nachschlagen, wo man sich gerade befindet. Die Autoren finden zu vielen Gelegenheiten, Häusern und Plätzen etwas zu erzählen, wenn auch meist in der Vergangenheitsform. Denn obwohl man in Leipzig die „Musikstadt“ gerade erst zur wer- bewirksamen Marke gemacht hat, führen immer noch die meisten Wege zu Bach, Mendelssohn (Bartholdy) und Schumann. So steht es auch im Untertitel – allerdings als „Schumanns“. Das ist kein verunglückter Genitiv, sondern bezieht sich auf Robert und Clara; gut gemeint, aber verwirrend gemacht. Das Büchlein ist nicht neu, sondern die aktualisierte Neuauflage des einst bei Edition Leipzig erschienenen, vergriffenen Titels. Hartinger verspricht, „abseits der großen Namen auf Entdeckungsreise“ zu gehen, doch das Autorenduo landet genau bei diesen.
Natürlich geht es mit Bach los, die wichtigen Fakten werden ebenso geliefert wie ein seltener Foto blick auf die Thomaskirche – mit Wasserfontäne. Es wird berichtet, geplaudert, geraunt; dann aber ist Bachs Kantorenwohnung einerseits „weiträumig“, andererseits „recht enger Lebensrahmen“ für Anna Magdalena Bach. Nicht die einzige Ungereimtheit auf den 128 Seiten, und schon hier beginnt eine der Ärgerlichkeiten: Die unzähligen, falschen Apostrophe à la „Bach’sche Fuge“. In sechs „Spaziergänge“ hat man Leipzig aufgeteilt, geht erst mal den vier „Großen“ nach, streut dabei, wenn es passt, andere, nicht ganz so bekannte Musiker ein. Optisch herausgehoben, erzählt Patrick Kast in Spezialkapiteln vom „Gutenberg-Fest 1840“, von „Gustav Mahler in Leipzig“, aber auch von „Mendelssohns sozialem Umfeld“ – da ist er dann wieder. Spaziergang Nr. 4 ist „Leipzig – (K)ein Platz für neue Töne?“ überschrieben – doch es geht den Autoren vor allem um Wagner und den musikalischen Geschmack der Leipziger zur Mendelssohn-Zeit. Vergeben die Chance, mal näher ans Heute zu rücken; nur zwei DDR-Komponisten werden genannt: Johannes Weyrauch und Georg Trexler. Und ein Name fehlt völlig: Hanns Eisler. In Leipzig geboren, nur kurze Zeit hier zuhause, rechnet sich die Stadt den Komponisten inzwischen doch zu. Auf dem Stadtplan findet sich die Hofmeisterstraße zwar, aber kein Hinweis auf sein Geburtshaus, in das inzwischen das Musikleben zurückgekehrt ist: durch jährlich wechselnde Eisler-Stipendiaten.
Neben dem ausführlich gewürdigten Gewandhausorchester hätte man sicher Wege finden können, etwa das MDR-Sinfonieorchester (das im Kubus neben dem Gewandhaus probt) zu nennen oder A-capella-Ensembles wie Calmus oder Amacord, die auch in der Thomaskirche auftreten.
Viel Rückwärtiges also, etliche Leerstellen und dann noch fehlendes Handwerk: Das Bändchen zerfällt nach dem ersten Lesen in seine Seiten. Das kennt man vom Henschel-Verlag gar nicht.

Ute Grundmann