Johannes Brahms
Späte Liebe
José Maria Blumenschein (Violine), Cristian Suvaiala (Violine), Junichiro Murakami (Viola), Trio Chronos
Nicht um eine Frauengestalt handelt es sich bei der Musik, die auf dieser CD zu finden ist, sondern um das Instrument, das sich Johannes Brahms gegen Ende seines Lebens durch den Meininger Richard Mühlfeld in seinem vielfältigen Ausdrucksvermögen neu erschlossen hat: die Klarinette. Von den drei Spätwerken, die ab 1891 entstanden sind, hat Andreas Langenbuch, seit 2017 Klarinettenprofessor an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf, zusammen mit dem Violoncellisten Simon Deffner und dem Pianisten Gottlieb Wallisch – sie bilden das Trio Chronos – das zuerst entstandene Trio a-Moll op. 114 eingespielt; außerdem noch das Klarinetten-Quintett
h-Moll op. 115, in dem seine ehemaligen WDR-Kollegen, die Violinisten José Maria Blumenschein und Cristian Suyaiala, der Bratschist Junichiro Murakami sowie Simon Deffner am Violoncello, das Streichquartett bilden.
Beide Werke gehören zum kammermusikalischen Kernrepertoire der Solo-Klarinettisten und
-Klarinettistinnen und somit liegen sehr viele Einspielungen vor, wobei die sinnvolle Kombination von
op. 114 und op. 115 die Ausnahme bildet. Erstmals stellt sich im Trio op. 114 das von Andreas Langenbuch initiierte Trio Chronos auf CD vor. Das Trio musiziert mit einem recht kernigen Gesamtklang von heller Grundfärbung. Der Beginn des ersten Satzes wird fantasieartig gespielt, doch mit der Themenübernahme des Klaviers dominiert das Vorwärtsdrängende und agogisch intensive Spiel des Trios. Das Grundtempo ist sehr zügig wie auch im zweiten Satz, einem Adagio, das mit sechseinhalb Minuten die kürzeste Spieldauer aller Vergleichsaufnahmen hat. Es lässt aber kaum Momente der Ruhe und Nachdenklichkeit entstehen. Auch die beiden folgenden Sätze halten das Tempo hoch und setzen die elanvolle Interpretation überzeugend fort, die durch eine größere Binnendifferenzierung im dynamischen Bereich und durch einen abtönungsreicheren Klavierklang an kammermusikalischer Substanz gewinnen könnte.
Im Klarinettenquintett liegen die Tempi insgesamt auch im eher schnelleren Bereich, explizit wieder im Adagiosatz. Andreas Langenbuch bläst mit angenehm weicher Tongebung und gestaltet seinen Part gemäß der brahmsschen Intention sowohl als völlig in den Quintettsatz integrierter Partner als auch als virtuoser Solist im ungarisch gefärbten Mittelteil des zweiten Satzes. Das Streichquartett spielt generell mit großer Intensität und Tongebung, die manchmal zu klanglicher Schärfe führt und dynamische Feinabstufungen wie auch einen differenzierteren Einsatz des Vibratos vermissen lässt. Die Ausdrucksmöglichkeiten im Sinne von „Verhaltenheit, die zugleich Tiefe ist“ – eine Aussage von Ernst Bloch, die im Booklet sehr zutreffend zitiert wird –, werden so nicht vollends entfaltet. (Ebenfalls im Booklet nicht ganz zutreffend: die Angaben der Spieldauern – diese sind bei der Werkübersicht vertauscht.)
Heribert Haase