Servais, Adrien François

Souvenir de Spa

Works for Cello & Orchestra

Rubrik: CDs
Verlag/Label: cpo 777 542-2
erschienen in: das Orchester 12/2012 , Seite 71

Dass in Nachlässen oder Archiven Werke vergessener Komponisten aus allen möglichen Epochen gleichsam begraben liegen, ist uns allen klar. Erstaunlich wirkt es aber, wenn mit der vorliegenden CD-Veröffentlichung ein weitestgehend unbekanntes Cellokonzert und weitere vergessene Solowerke für Violoncello in einer Interpretation durch den taiwanesisch-stämmigen Schweizer Wen-Sinn Yang neu hörbar werden. Derweil galt ja allgemein, dass das Cello in der Konzertliteratur etwas kurz gekommen sei. Den hier nun vorgestellten Belgier Adrien François Servais (1807-1866), ursprünglich Geiger, dann aber als reisender “Paganini des Cellos” berühmt, kennt man heute kaum noch, obwohl er in seiner Heimatstadt Halle von einem Denkmal blickt, das Instrument links neben sich.
Es passt zur Verkennung dieses Musikers, dass dieses steinerne Instrument am Boden über keinen Metallstachel verfügt – den aber hat der mit dem Denkmal Gewürdigte erfunden! Dieser längst gar nicht mehr verzichtbare Stachel war es, der das Cello aus dem Klammergriff der Waden befreite und so dem ebenfalls befreiten Spieler vieles mehr ermöglichte. Servais entwickelte auch die lockere Bogenführung, mit der er größte technische Schwierigkeiten bewältigte, als da wären Akkordbrechungen in schnellem Tempo, lange Doppelgriffpassagen, Trillerketten in höchsten Lagen. Auch eine Erweiterung des Tonumfangs wurde vollzogen.
Vieles davon ist in Souvenir de Spa zu erleben, bei dem auf eine rasche, zupackende Orchestereinleitung ein anfangs unbegleiteter, lyrisch-rhapsodischer oder quasi improvisatorischer Cellopart folgt, der bald in ein gefällig tänzerisches Thema übergeht. Hier zeigt sich schon die stilistische Ausrichtung von Servais an der romantischen Schule, nicht zuletzt deutscher Prägung. Doch ganz vorn steht für ihn das eingängige, nicht allzu abenteuerlich ausgreifende Melos und dazu natürlich die fast exhibitionistische Virtuosität mit allen erdenklichen Tricks und Raffinessen des Cellos. Wen-Sinn Yang sagt über Souvenir: “Tschaikowskys hochvirtuose Rokoko-Variationen sind ein Kinderspiel dagegen.”
Die sechsteiligen Fantasisies et Variations über Schuberts noch nicht einmal einminütigen Sehnsuchts-Walzer – seinerzeit ein Schlager – beginnen in einem fast schon an Beethoven gemahnenden Pathos, um aber bald schon in die salonmusikalische Cello-Show überzugehen. Und Rossinis Barbier von Sevilla bietet Servais in seinem Opus 6 die Möglichkeit, gleich zur Sache zu kommen: zum ebenso lustvollen wie atemberaubend virtuosen Ausschmücken von Ohrwürmern.
Das 23-minütige Cellokonzert in h-Moll – eines von vieren – erweist sich als unbedingt ernst zu nehmendes Werk, auch im Ausdrucksgehalt auf der Höhe anderer Sololiteratur der Zeit. Einem langen Allegro folgen ein relativ kurzes Adagio und ein geradezu sprühendes Allegro-Finale. Wen-Sinn Yang braucht die enormen technischen Anforderungen nicht zu scheuen. Der im Jahr 2004 als Professor an die Münchner Musikhochschule berufene Musiker ist auch bestimmend bei der überzeugenden
Wirkung dieses Werks in der Interpretation mit dem Münchner Rundfunkorchester unter Terje Mikkelsen.
Günter Buhles