Kowalski, Max
Songs
Melinda Paulsen geht mit der nötigen Innigkeit und Klarheit an die zarten Lied-Geschöpfe des Juristen Max Kowalski heran. Die Gesangsprofessorin aus Frankfurt ehrt Kowalski, der als Jude nach einer kurzen Inhaftierung in Buchenwald im Frühjahr1939 Deutschland verlassen musste, und versucht sein Liedschaffen dem Vergessen zu entreißen. Kowalski studiert Komposition sozusagen auf dem zweiten Bildungsweg, während er in Frankfurt schon erfolgreich als Anwalt arbeitet, und vertont im selben Jahr wie Schönberg seinen Pierrot Lunaire, mit wesentlich geringerem öffentlichen Erfolg. Dem Klavierlied bleibt er verbunden, auch noch, als er versucht, sich im englischen Exil eine neue Existenz aufzubauen. Das Kom-
ponieren scheint ihn am Leben zu halten. Er hat sich zum Klavierstimmer ausbilden lassen, arbeitet als Synagogalsänger und Gesangslehrer. Mit 73 Jahren stirbt er 1956 in London.
Die Auswahl seiner Liedtexte bezeugt sein Sich-vergewissern-Wollen der deutschen Heimat und in England zudem wie selbstverständlich mit der Wahl englischer Texte ein Angekommen-Sein im Exilland. Mithilfe romantischer und moderner Dichter lotet er diese beinahe programmatischen Bekenntnisse aus. In der Frankfurter Zeit entstehen Werke auf Texte von Heine, Hesse, Nietzsche, Bierbaum, Dehmel oder Klabund. 1994 war Kowalskis Pierrot Lunaire mit Lothar Littmann als CD erschienen und von Diether de la Motte als aparte Liedkunst begrüßt worden. Der große Musikkenner fand aber auch Worte wie große Überraschung und doch immer diskret, nie die Gefahr der Kitsch-Nähe.
Für diese neue, im vergangenen Herbst aufgenommene CD-Produk-
tion wählt Melinda Paulsen Lieder wie Sie saßen und tranken am Teetisch, sehr anrührende Fünf Marienlieder oder sechs aphoristische Stücke aus einem Zyklus Japanischer Frühling mit Gedichten des damaligen Mode-Dichters Hans Bethge.
Die symbiotische Verbundenheit zwischen der Amerikanerin Melinda Paulsen und ihrem schwedischen Klavierbegleiter Lars Jönsson kommt besonders gut bei den hochdramatischen Zyklen im zweiten Teil der CD-Produktion, die im Studio der Stuttgarter Musikhochschule (Gabriele Starke) entstand, zum Tragen. Melinda Paulsen wird diesen beinahe opernhaften Szenen ebenso stimmlich wie interpretatorisch bewundernswürdig gerecht wie den liedhaften Miniaturen auf die fast allzu bekannten Texte. Lars Jönsson weiß die Transparenz des Klavierparts im Dienste des Textes immer gut auszutarieren.
An den Schluss der CD wurde eine Liedersammlung gesetzt (Sieben Lieder), die 1933 entstanden ist und die Kowalskis ganz eigene Tonsprache erneut gut zum Ausdruck bringt: im Kleinen alles sagen wollen, dabei scheinbar unangestrengt und doch kunstvoll bleiben. Ohne vom Zwang zur Moderne verführt zu sein, das harmonische Potenzial voll auskostend, zeigt sich hier ein Liedrepertoire, das sowohl einer gründlichen wissenschaftlichen Bearbeitung als auch seiner weiteren Ausbreitung im Konzertbetrieb harrt.
Katharina Hofmann