Prokofiev/Honegger/Ysaÿe

Sonates pour deux violons

Raphaël Oleg/Frédéric Angleraux (Violine)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Schweizer Fonogramm
erschienen in: das Orchester 01/2020 , Seite 79

Der Lyoner Geigenbauer Jacques Fustier hatte für die damals noch jungen Geiger Raphaël Oleg und Frédéric Angleraux eine Violine gebaut und versuchte, sie für das Duomusizieren zu gewinnen, um eine CD einzuspielen. Er legte ihnen diese Idee bei einem seiner „legendären Essen“, wie im Booklet steht, dar – und hatte Erfolg.
Obwohl es ein großes Repertoire für Violinduo gibt, fristet es eher ein Schattendasein. Ein Grund sind (Vor-)Urteile, die den Klang betreffen: Zwei hohe Stimmen können auf die Dauer ziemlich anstrengend anzuhören sein. Ein anderer Grund ist, dass es schwierig ist, Duos überzeugend zu spielen. Dazu sind nämlich nicht nur technische Meisterschaft, sondern auch eine hohe Übereinstimmung im Gestalten, Empfinden und in der Darstellung notwendig.
Die CD von Oleg und Angleraux bestimmt eine wunderbare klangliche Einheit allein schon aufgrund der Instrumente aus der Hand desselben Geigenbauers. Doch darüber hinaus sind beide Geiger von der französischen Violinschule geprägt. Charakteristisch für ihr Spiel ist ein leichter, flüssiger, oft schwebend wirkender Klang. Das Fehlen einer Bassstimme wird nicht als Mangel empfunden. Wir hören vielmehr Klangbänder von einer berückend schönen Schwerelosigkeit. Außerdem prägt ein ungewöhnlich großer Klangfarbenreichtum das Spiel der beiden französischen Geiger. Dadurch gelingt es, dass sich keine Langweile beim Hören dieser maximal zwölf Minuten langen Sätze einstellt. Dabei ist die Homogenität des Zusammenspiels so groß, dass man beim ersten Hören meint, nur ein Geiger würde spielen, gleichsam ein Doppel-Ich, wie der Titel der CD lautet.
Das gewichtigste Stück dieser CD, auch was die Dauer von insgesamt über 30 Minuten betrifft, ist Eugène Ysaÿes Sonate für zwei Violinen opus posth. in a-Moll. Vor allem der erste Satz wird weitgehend von Vierstimmigkeit bestimmt, die durch Doppelgriffe in beiden Violinen erreicht wird. Hier klingt das Violinduo wie ein Streichquartett, das in der hohen Tonregion angesiedelt ist. Oleg und Angleraux spielen diese mehrstimmige Musik mühelos, elegant, mit einer facettenreich differenzierten Klangabschattierung.
Dagegen stehen in Sergej Prokofiews Sonate op. 56 die zwei Melodielinien im Zentrum. Oleg und Angleraux entfalten ein spannendes Duospiel, das von kontrapunktischem Auseinandertriften bis zu Unisono reicht. Im 2. Satz markieren sie eindrucksvoll die motorischen Rhythmen und erinnern damit an die folkloristischen Wurzeln dieser Musik.
Arthur Honegger erkundet in seiner Sonatine H. 29 zahlreiche Möglichkeiten der Zweistimmigkeit, verdichtet die Erfahrungen vom zweistimmigen Organum bis zur pizzicato begleiteten Melodie. In der Interpretation von Oleg und Angleraux besitzen auch die Dissonanzen Klangschönheit. Es entsteht ein erstaunlich abwechslungsreiches und höchst geistvolles Musizieren. Eine hörenswerte CD!
Franzpeter Messmer