Les Deux Violes: Georg Noeldeke & Rahel Klein (Viola da Gamba)

Sonates à deux Violes op. 10

Joseph Bodin de Boismortier

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Antes Editon
erschienen in: das Orchester 07-08/2020 , Seite 72

Boismortier gelang es bereits im 18. Jahrhundert, als freier Komponist erfolgreich zu sein und zu einigem Reichtum zu gelangen. Zwar schrieb er auch Werke für die Bühne, doch das meiste sind Konzerte und Sonaten für den Gebrauch von Musikliebhabern, bei denen seine Musik höchste Popularität genoss. Seine enorme Produktivität brachte ihm den Vorwurf des Vielschreibers ein, der sich bis heute hält. Doch darüber wird vielfach vergessen, dass er ein Erneurer der französischen Musik war, neue Formen wie das Concerto aus Italien einführte und neue Kombinationen von Musikinstrumenten wagte. Auch Instrumente der Volksmusik wie den Dudelsack und die Drehleier bedachte er mit Werken und bediente so erfolgreich die damalige Sehnsucht des Pariser Publikums nach der Pastorale, also dem Ideal des Landlebens. Das Viola-da-Gamba-Duo „Les Deux Violes“ bereichert den CD Katalog mit der „Weltersteinspielung“ von Boismortiers Sonaten für zwei Violen. Ist diese CD nur für Freunde von musikalischen Raritäten und Alte-Musik-Fans gedacht oder kann diese Musik auch ein größeres Publikum fesseln? Beim Hören entsteht durchaus der Eindruck, dass es schwächere und bessere Werke gibt. So stellt sich bei der 2. Sonate in A-Dur eine gewisse Langweile ein. Dagegen erfreut die g-Moll-Sonate durch sehr unterschiedliche musikalische Charaktere in den einzelnen Sätzen, wagt zum Teil eine kühne Harmonik und versteht es, den beiden Gamben vielfältige Klangschattierungen abzugewinnen. Allerdings kann dieser gemischte Eindruck auch durch die Interpretation begründet sein. Das Duo fühlt sich offenbar der strengen historischen Aufführungspraxis verpflichtet, spielt korrekt, artikuliert alles richtig und wirkt dabei etwas akademisch. Doch kann es damit einem populären Komponisten des 18. Jahrhunderts gerecht werden? Wohl eher nicht. Auch die Gambe (und gerade die Gambe!) ist zu vielfältigsten Klangabschattierungen fähig, die hier fehlen. Man kann auf ihr wunderbar hingehaucht leise spielen; in dieser Einspielung ist fast immer ein Mezzoforte zu hören. Die schnellen Tänze würden durchaus ein schnelleres Tempo und eine gewisse Virtuosität vertragen, auch wenn man weiß, dass Boismortier für Liebhaber komponierte. Musik lebt, wenn jeder Ton, jedes Motiv, vor allem wenn es wiederholt wird, um eine Nuance anders klingt. In dieser Einspielung scheint die innere Freiheit zu einem solch lebendigen Spiel zu fehlen. Verdienstvoll ist es allemal, dass hier bisher verschollene Musik wieder ausgegraben wird. Doch die Bildende Kunst hat es leichter: Die kann man im Museum ausstellen, so wie sie ist. Alte Musik dagegen muss stets von Neuem verlebendigt werden und trifft dabei auf Ohren, die möglicherweise ganz anders hören. Deshalb ist es schade, dass hier nicht Boismortier, der Popularmusiker des 18. Jahrhunderts und Erneurer französischer Musik, entdeckt werden kann.
Franzpeter Messmer